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SGLT2-Hemmer als Add-on-Therapie?

Der Einsatz von SGLT2-Hemmern im Kontext Typ-1-Diabetes stützt sich auf einen Mix aus Untersuchungen zur Stoffwechseleinstellung der Betroffenen. Aus Endpunktstudien geht zudem hervor, dass sich die Substanzen günstig auf das renokardiovaskuläre Risiko von Menschen mit Typ-2-Diabetes sowie Stoffwechselgesunden auswirken. Ob dies auch für den Typ 1 zutrifft, ist bisher jedoch nicht ausreichend belegt.
„Angesichts des extrem hohen kardiorenalen Risikos dieser Patienten bin ich trotz fehlender Langzeitstudien schon jetzt ausreichend zufriedengestellt“, sagte Professor Dr. Thomas Danne, Kinder und Jugendkrankenhaus Auf der Bult, Hannover. „Ich gehe davon aus, dass SGLT2-Hemmer auch beim Typ-1-Diabetes das kardiorenale Risiko reduzieren können.“ Prof. Danne hält es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für fraglich, ob Endpunktstudien in Anbetracht der relativ kleinen Zielgruppe überhaupt auf den Weg gebracht werden. Dazu zitierte er eine schwedische Registerstudie, deren Ergebnissen zufolge ein Typ-1-Diabetes, der sich vor dem zehnten Lebensjahr manifestiert, mit einem Verlust von im Mittel 17,7 Lebensjahren bei Frauen und 14,2 bei Männern verbunden ist. Diese Übersterblichkeit gehe maßgeblich auf das Konto kardiorenaler Folgeschäden, so Prof. Danne. Mit Blick auf das kardiovaskuläre Risiko bestehe beim Diabetes Typ 1 ein riesiger „unmet need“.
Positive Ergebnisse in drei großen Studienprogrammen
Der Kinderarzt sprach sich vor diesem Hintergrund dafür aus, SGLT2-Hemmer bereits jetzt stärker als bisher bei Patienten mit Typ-1-Diabetes einzusetzen. Aktuell sind in Europa zwei Vertreter dieser Substanzklasse für diese Zielgruppe im Erwachsenenalter zugelassen.
Von dieser Add-on-Therapie würden die Betroffenen aber nicht nur in puncto Langzeitkomplikationen, sondern auch unmittelbar im Alltag profitieren – „und zwar spürbar“, sagte Prof. Danne. SGLT2-Hemmer reduzieren Blutzuckerschwankungen und führen zu einer Glättung der Blutzuckerprofile. Dies konnte in drei großen Studienprogrammen gezeigt werden, an denen auch Patienten mit Diabetes Typ 1 teilgenommen hatten. Kombiniert mit einer Insulintherapie ließen sich die angestrebten Zielwerte zuverlässiger erreichen. In den mit dem dualen SGLT1/2-Inhibitor Sotagliflozin durchgeführten Studien Tandem 1 und Tandem 2 befand sich der Glukosespiegel im Tagesprofil knapp drei Stunden länger im grünen Bereich. Das Risiko von Hypoglykämien wird durch SGLT2-Inhibitoren nicht erhöht.
Blutzuckerschwankungen können Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität von Patienten erheblich einschränken. Ebenso sind kognitive Defizite, depressive Verstimmungen und Fehlzeiten mit einer hohen Glukosevariabilität assoziiert. All dies betrifft Menschen mit Typ-1-Diabetes häufig. Mit Blick auf die Stoffwechselkontrolle ist die Reduktion solcher Schwankungen für Prof. Danne daher ein wichtiges Argument pro SGLT2-Hemmer.
An dieser Stelle hakte Professor Dr. Andreas Fritsche von der Universitätsklinik Tübingen ein. Er wies darauf hin, dass robuste Langzeitdaten zu den Stoffwechseleffekten von SGLT2-Hemmern beim Typ-1-Diabetes bis dato fehlen. Betrachtet man die verfügbaren Studienergebnisse, flacht die HbA1c-Senkung im Verlauf einiger Monate deutlich ab. Dies müsse man überprüfen. Nach jetzigem Kenntnisstand sei der langfristig zu erzielende Benefit für HbA1c, Insulindosis und Körpergewicht nicht sehr groß. „Diese Effekte allein rechtfertigen meiner Einschätzung nach noch keinen Einsatz von SGLT2-Inhibitoren bei Patienten mit Typ-1-Diabetes“, sagte Prof. Fritsche entschieden. „Bei hoher Blutzuckervariabilität könnte man darüber nachdenken.“
Beim kardiorenalen Nutzen ist man sich einig
Das entscheidende Argument sei die gefäß- und organprotektive Bedeutung der Substanzen. Diesbezüglich besteht auch ein Konsens. Prof. Fritsche konnte keinen Grund ausmachen, warum der bei anderen Zielgruppen beobachtete positive Einfluss auf das kardiorenale Risiko nicht auch für Personen mit Diabetes Typ 1 gelten sollte. Eine Indikation für den Einsatz von SGLT2-Hemmern sieht er derzeit in erster Linie bei Patienten mit Anzeichen einer Herzinsuffizienz oder drohenden Nierenschädigung.
Negativ zu Buche schlägt vor allem das Ketoazidoserisiko. Erfahrungsgemäß laufen Erkennen und Managen der schweren Stoffwechselentgleisung beim Typ-1-Diabetes nicht optimal. Sogar gut geschulte Patienten werden mit der Zeit etwas nachlässig, weiß der Diabetologe. „Das ist grundsätzlich so. Vor diesem Hintergrund ist dann auch die Add-on-Therapie mit SGLT2-Hemmern zu erwägen“, gab er zu bedenken. Diese wäre also mit einem noch höheren Ketoazidoserisiko für die Patienten verbunden, als sie ohnehin schon tragen. Ein Einsatz sei nur dann vertretbar, wenn die Betroffenen optimal geschult seien und ihr Wissen auch tatsächlich umsetzen. Seiner Erfahrung nach könnte man davon derzeit nicht ausgehen.
Es sei deshalb dringend erforderlich, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes so viel wie möglich aus den ihnen angebotenen Schulungen zur Ketoazidosegefahr mitnehmen. Bestehende Programme sollten intensiviert werden. In diesem Punkt waren sich beide Experten einig. Prof. Danne ergänzte, dass die Nutzung von SGLT2-Inhibitoren als Add-on hier Anstoß und Chance sein können.
Auch die Dosierung der Substanzen ist mit Blick auf das Ketoazidoserisiko ein wichtiger Aspekt. Die Dosis sollte so niedrig wie möglich gewählt werden. Allerdings, gab Prof. Fritsche zu bedenken, sei nicht abschließend geklärt, wie hoch die optimale Menge tatsächlich ausfallen müsse. Es sei denkbar, dass man die derzeitigen Empfehlungen unterschreiten könne. Diese Frage sei vor einem flächendeckenden Einsatz noch zu klären. Gegenstand weiterer Forschung sei seiner Meinung nach zudem die Identifizierung von Typ-1-Subgruppen, die besonders von SGLT2-Inhibitoren profitieren und bei denen mit hoher Sicherheit von einer positiven Nutzen-Risiko-Relation auszugehen sei.
Quelle: Diabetes Kongress 2021
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