Antikörper-Psychose: Fehlgeleitetes Immunsystem sorgt für Übererregung im Gehirn

Autor: Friederike Klein

Eine autoimmune Psychose ist nur schwer zu erkennen. So ergibt die MRT in mehr als 40 % der Fälle einen unauffälligen Befund. (Agenturfoto) Eine autoimmune Psychose ist nur schwer zu erkennen. So ergibt die MRT in mehr als 40 % der Fälle einen unauffälligen Befund. (Agenturfoto) © EVGENIY – stock.adobe.com

In seltenen Fällen haben Psychosen immunologische Ursachen. Da diese Formen per Immuntherapie behandelbar sind, müssen sie schnellstmöglich erkannt werden. Doch das kann schwierig sein, wie das Beispiel eines 25-jährigen Lehrlings zeigt.

Als sich der Patient in der Notaufnahme vorstellte, war er fest davon überzeugt, mit HIV infiziert zu sein. Zudem forderte er eine Rückenmarktransplantation. Bei dem Mann dominierte ein desorganisiertes Wahnsystem, erläuterte Professor Dr. Ludger Tebartz van Elst von der psychiatrischen Universitätsklinik in Freiburg. Der neurologische Untersuchungsbefund fiel normal aus. Zwar zeigte die Kernspintomographie eine Läsion im rechten frontalen Marklager, doch die wurde als unspezifisches Artefakt eingestuft.

Man nahm den Patienten in die psychiatrische Abteilung auf und behandelte ihn zunächst antipsychotisch. Als er am vierten Tag eine Aphasie und räumliche Desorientierung entwickelte, führte man eine Liquorpunktion durch. Die Analyse ergab eine erhöhte Zellzahl (72/µl), immunologische und mikrobiologische Parameter waren jedoch unauffällig. Erst im weiteren Verlauf konnte man erhöhte Titer von Antikörpern gegen Antigene des Komplexes spannungsabhängiger Kaliumkanäle (VGKC) identifizieren. In der Folge charakterisierte man sie als VGKC-assoziierte LGI1-Proteine. Das sicherte die Diagnose einer nicht-paraneoplastischen limbischen Enzephalitis. Die Immuntherapie mit Steroiden und Plasmapherese führte bei dem Patienten langsam über Monate zur fast kompletten Remission der neuropsychia­trischen Symptome.

Autoimmune Psychose: wahrscheinlich oder definitiv?

Kürzlich wurde ein psychiatrischer Konsensus zu Diagnose und Management von Psychosen bei Verdacht auf eine autoimmune Ursache publiziert. Danach leidet der Patient an einer wahrscheinlichen immunologischen Psychose, wenn er wenigstens einen der folgenden Punkte aufweist:
  • Pleozytose > 5 Zellen/µl
  • bilaterale Abnormalitäten im Temporallappen in der T2-FLAIR-MRT-Bildgebung
oder zwei der folgenden Punkte aufweist:
  • EEG-Abnormalitäten (z.B. Spikes, Spike-Wave-Aktivität, rhythmische langsame Aktivität (intermittierende, rhythmische Delta- oder Theta-Wellen), fokale Pathologien, „extreme delta brush“
  • oligoklonale Banden oder erhöhter IgG-Index im Liquor
  • anti-neuronale Serumantikörper in zellbasierten Assays
und alternative Diagnosen ausgeschlossen sind. Lassen sich zusätzlich zu den o.g. Kriterien antineuronale IgG-Antikörper im Liquor nachweisen, ist die Diagnose autoimmune Psychose gesichert und eine Erst- und Zweitlinien-Immuntherapie indiziert. Bei nur wahrscheinlicher immunologischer Psychose kann die Behandlung zumindest erwogen werden.

EEG hilfreicher als das Kernspin

Die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis ist oft schwierig. In mehr als 40 % der Fälle ergibt sich in der MRT ein unauffälliger Befund, gelegentlich erkennt man eine diskrete Hirnatrophie, häufiger unspezifische Läsionen der weißen Substanz, berichtete Prof. Tebartz van Elst. Klinisch sei das EEG hilfreicher als die MRT, auch wenn sich häufig nur unspezifische Verlangsamungen, seltener spezifischere „extreme delta brushs“ zeigten. Eine Zellzahlerhöhung im Liquor spricht für eine immunologische Störung.

Verbesserungen bis zu 18 Monate nach Therapiestart

Eine gestörte Blut-Hirn-Schranke kommt bei mehr als 20 % aller Patienten mit Psychosen und Depressionen vor. Der einzige hochrelevante Liquorbefund ist der Nachweis spezifischer Antikörper wie Anti-NMDA- oder Anti-VGPC/LGI1. 

Lohnende Antikörpersuche

Anhand verschiedener Autoantikörper werden die Autoimmunenzephalitiden differenziert:
  • Antikörper gegen neuronale Oberflächenantigene (z.B. NMDA-Rezeptor, VGPC-Komplex, D2-Rezeptoren)
  • Antikörper gegen intrazelluläre synaptische oder onkoneurale Antigene (z.B. Glutamat-Decarboxylase, GAD)
  • anti-TPO- und anti-TG-Antikörper (Hashimoto-Enzephalopathien)
  • andere Antikörper
Klinisch lässt sich der häufigere neuropsychiatrische Phänotyp (siehe Kasuistik) von dem selteneren klassisch-psychiatrischen Phänotyp unterscheiden.

Die Behandlung erfolgt primär mit hoch dosiertem Kortison über 1–2 Wochen. Bleibt sie erfolglos, kommen eine Plasmapherese und/oder die Gabe von intravenösen Immunglobulinen zum Einsatz. Spricht der Patient auch darauf nicht an, kann die Therapie laut Prof. Tebartz van Elst mit Rituximab oder Cyclophosphamid eskaliert werden. Mit der Immuntherapie tritt bei mehr als der Hälfte der Patienten innerhalb von vier Wochen eine Besserung ein. Auch auf die Zweitlinientherapie sprechen viele Patienten noch an. Eine Verbesserung ist bis zu 18 Monate nach Therapiebeginn möglich. In einer großen Fallsammlung zeigten 394 von 501 Patienten mit Enzephalitis und anti-NMDA-Rezeptor-Antikörpern nach zwei Jahren ein gutes Behandlungs­ergebnis.

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde

Quellen:
1. Tebartz van Elst L et al. J Clin Psychiatry 2011; 72: 722-723; DOI: 10.4088/JCP.10l06510
2. Titulaer MJ et al. Lancet Neurol 2013; 12: 157-165; DOI: 10.1016/S1474-4422(12)70310-1
3. Pollak TA et al. Lancet Psychiatry 2019; 2020; 7: 93-108; DOI: 10.1016/S2215-0366(19)30290-1