Impf-Überlastung: Wie viele Überstunden zulässig sind und wie sich das Team kurzfristig aufstocken lässt
Laut einer Umfrage der KV Hessen schätzt rund ein Viertel ihrer Mitglieder die Impf-Situation in den Praxen als „katastrophal“ ein. Um den Andrang zu bewältigen, machen viele Ärzte und MFA reichlich Überstunden. Doch die Hoffnung, diese im Herbst abfeiern zu können, schwindet durch die vermutlich anstehenden Drittimpfungen.
Was Praxisinhaber ihren Mitarbeitenden an Überstunden abverlangen können, ist rechtlich begrenzt. Das Arbeitszeitgesetz erlaube kurzfristige Arbeitszeiterhöhungen auf bis zu zehn Stunden pro Werktag, also 60 Stunden pro Woche, erklärt der Münchner Fachanwalt für Medizinrecht Professor Dr. Dr. Alexander Ehlers. Im Sechsmonatsdurchschnitt dürfe allerdings nicht mehr als 48 Wochenstunden gearbeitet werden.
Pandemie gilt nicht mehr als Ausnahmezustand
Zwar ist eine Überschreitung in Notfällen möglich. „Ein Notfall ist aber plötzlich und unvorhersehbar – dass die Bevölkerung geimpft werden muss, ist seit Beginn der Pandemie klar. Auch dauert die Pandemie seit nunmehr einem Jahr an – sie ist mittlerweile traurige Normalität und nicht mehr außergewöhnlich“, betont Prof. Ehlers.
In medizinischen Berufen darf nach Angaben des Juristen auch bei unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung und Pflege von der Höchstarbeitszeit an einzelnen Tagen abgewichen werden. „Dies gilt aber nur, wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können. Mehr Praxispersonal – ob befristet oder über Zeitarbeit – ist zumutbar“, so der Experte.
Zudem seien Impfungen nicht unaufschiebbar. „Zwar ist eine schnelle Durchimpfung der Bevölkerung im Sinne der öffentlichen Gesundheit natürlich von immenser Wichtigkeit. ,Unaufschiebbar‘ in diesem Sinne meint aber wirklich unaufschiebbar, etwa weil eine akute Not droht und nicht weil auf lange Sicht schnellstmögliches Arbeiten erforderlich ist.“
Verweigern dürfen MFA Überstunden nur, wenn die angeordneten Stunden über den Arbeitsvertrag oder das gesetzlich Erlaubte hinausgehen. „Eine unbegründete Verweigerung rechtfertigt auf alle Fälle eine Abmahnung“, so Prof. Ehlers.
Um Impflinge besser von infektiösen Patienten trennen zu können, richten manche Praxen Impfsprechstunden an Samstagen ein. Arbeitsrechtlich steht dem wenig entgegen. „Dem Arbeitgeber steht das sogenannte Direktionsrecht zu. Dieses erlaubt auch die Zeit der Arbeitsleistung zu bestimmen“, führt der Anwalt aus. „Dabei muss er aber auch die Belange des Arbeitnehmers berücksichtigen. Es empfiehlt sich die Kommunikation beider Seiten.“
Der Arbeitgeber könne Samstagsarbeit festlegen. „Dabei handelt es sich aber nur um die Festlegung der Arbeitszeit, der Arbeitnehmer muss also an einem anderen Tag als Ausgleich frei bekommen. Steht im Arbeitsvertrag aber etwa, dass die Arbeit grundsätzlich von Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr zu erbringen ist, so ist die Arbeit auch von Montag bis Freitag zu erbringen.“
Um Überarbeitung und damit auch stressbedingte Erkrankungen von Mitarbeitenden zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, das Team personell aufzustocken. In Zeiten des Fachkräftemangels sei dies aber leichter gesagt als getan, meint Praxisberaterin Diana Lamers aus Billerbeck.
Terminvergabe erfordert meist Fachkenntnisse
Eine gute Möglichkeit, kurzfristig an Unterstützung zu gelangen, sei es, auch Fachfremde als Aushilfen einzustellen. „Zu beachten ist dabei allerdings, dass viele der Arbeiten in einer Praxis nur von ausgebildeten MFA erledigt werden können. Damit sind nicht nur die medizinischen Aufgaben gemeint, sondern in erster Linie auch die hochanspruchsvolle Arbeit der Terminvergabe. Diese kann nur effektiv und sicher von erfahrenen MFA durchgeführt werden, die auch medizinisch abschätzen können, wie wichtig und umfangreich ein Terminwunsch ist.“ Dennoch könnten fachfremde Aushilfen die MFA bei anderen Routinetätigkeiten entlasten. Da die Liefermengen der Impfstoffe immer noch schwanken, wäre es z.B. denkbar, die Fachfremden zu Wochenbeginn mit der kurzfristigen Absage ausfallender Impftermine zu betrauen.
Langfristig könnten auch Auszubildende den Betrieb deutlich entlasten, gibt Lamers zu bedenken.„Zwar gestaltet sich die Suche auch da nicht ganz leicht und die Praxis hat zunächst einen ausbilderischen Mehraufwand. Allerdings profitiert die Praxis oft nach kurzer Zeit der Einarbeitung schon sehr.“ Wer Aushilfen oder Auszubildende sucht, sollte die Ausschreibung nicht nur in den gängigen Jobportalen platzieren, sondern auch in spezialisierten Social-Media-Gruppen rät Lamers.
Bei der Einstellung von Aushilfen bietet es sich an, nach Minijobbern zu suchen. Die Anmeldung bei der Minijobzentrale ist unkompliziert und die Lohnnebenkosten sind gering. Es gibt zwei Optionen:
450-Euro-Minijob
Verdienen Minijobber monatlich maximal 450 Euro, können sie beliebig lange in der Praxis angestellt werden. Aufgrund der Coronakrise darf noch bis zum 31. Oktober die Verdienstgrenze von 450 Euro in vier Kalendermonaten innerhalb eines Zeitjahres überschritten werden. Voraussetzung ist allerdings, dass dies nur gelegentlich passiert und nicht vorhersehbar ist – etwa wenn andere Mitarbeiter ausfallen oder in Quarantäne müssen. Um welchen Betrag es geht, spielt keine Rolle. Normalerweise gilt diese Regel nur für drei Kalendermonate.
Bei der Lohnsteuer hat der Arbeitgeber die Wahl: Er entscheidet, ob er eine Pauschalsteuer von 2 % an die Minijob-Zentrale entrichtet oder ob das Gehalt nach der Steuerklasse des Minijobbers versteuert wird. Da 450-Euro-Beschäftigte der Lohnsteuerklassen I – IV keine Lohnsteuer zahlen müssen, ist Letzteres oft vorteilhafter für sie. Lediglich für Personen, die mit dem Ehepartner zusammen veranlagt werden oder weitere Einkünfte haben, können Nachteile entstehen. Die Pauschalsteuer beinhaltet auch Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag.
Wer die Pauschalsteuer wirtschaftlich trägt, ist egal. Der Praxisinhaber ist zwar laut Gesetz Steuerschuldner, er darf die Abgabe aber vom Verdienst des Minijobbers abziehen, sofern mit diesem ein Bruttolohn vereinbart wurde.
Abgaben nach Art des Minijobs | ||
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Art | Höhe bei 450-Euro-Jobs | Höhe bei kurzfristigen Minijobs |
Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung (falls Minijobber GKV-versichert ist) | 13% | keine Abgabe |
Beitrag zur Pflegeversicherung | keine Abgabe | keine Abgabe |
Pauschalbeitrag Arbeitgeber zur Rentenversicherung | 15% | keine Abgabe |
Beitragsanteil des Minijobbers bei Versicherungspflicht in der Rentenversicherung | 3,6% | keine Abgabe |
Umlage 1 (zum Ausgleich der Aufwendungen des Arbeitgebers bei Krankheit des Minijobbers) | 1% | 1% |
Umlage 2 (zum Ausgleich der Aufwendungen des Arbeitgebers bei Schwangerschaft/Mutterschaft, auch für männliche Minijobber zu zahlen) | 0,39% | 0,39% |
Beitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung | individueller Beitrag an den zuständigen Unfallversicherungsträger | individueller Beitrag an den zuständigen Unfallversicherungsträger |
Arbeitslosenversicherung | keine Abgabe | keine Abgabe |
Insolvenzgeldumlage | 0,12% | 0,12% |
Steuer | 2% Pauschsteuer (wenn auf Besteuerung nach Lohnsteuerklasse verzichtet wird) | individuell |
Quelle: Minijob-Zentrale
Kurzfristiger Minijob
Bei „kurzfristigen Minijobs“ dürfen Beschäftigte maximal drei Monate oder 70 Tage in der Praxis angestellt sein, die Höhe des Gehalts ist dafür aber egal. Aufgrund der Pandemie gilt bis zum 31. Oktober sogar eine zeitliche Höchstgrenze von vier Monaten oder 102 Tagen.
Aushilfen müssen mindestens 9,50 Euro pro Stunde erhalten
Eine kurzfristige Beschäftigung darf nicht berufsmäßig ausgeübt werden, d.h., sie muss wirtschaftlich für den Arbeitnehmer von untergeordneter Bedeutung sein. Verdient der Minijobber monatlich mehr als 450 Euro muss der Arbeitgeber prüfen, ob Berufsmäßigkeit vorliegt. Die Minijob-Zentrale hat hierfür eine Entscheidungshilfe erstellt.
Auch bei kurzfristigen Minijobbern gibt es zwei Arten der Besteuerung: Entweder nach Steuerklasse des Beschäftigten oder – unter bestimmten Bedingungen – mittels einer pauschalen Lohnsteuer von 25 %. Die Pauschalsteuer umfasst in diesem Fall weder Kirchensteuer noch Solidaritätszuschlag.
Unabhängig von der Art des Minijobs ist der gesetzliche Mindestlohn von 9,50 Euro (ab Juli 9,60 Euro) einzuhalten.
Medical-Tribune-Bericht