Herzgefahr durch Corona

Autor: Dr. Sascha Bock

Ein akuter myokardialer Schaden belastet COVID-19 Vorerkrankte, aber auch Patienten ohne Komorbidität. Ein akuter myokardialer Schaden belastet COVID-19 Vorerkrankte, aber auch Patienten ohne Komorbidität. © iStock/Stockcrafter

Bereits seit den ersten Wochen der Corona-Pandemie ist klar: Viele Betroffene haben eine begleitende kardiovaskuläre Erkrankung – und dadurch eine deutlich schlechtere Prognose. Was bedeutet das für die Praxis?

Während den meisten Influenza-Epidemien sterben mehr Patienten an kardiovaskulären Komplikationen als an der virusbedingten Pneumonie selbst. Wer z.B. unter einer KHK leidet, trägt ein größeres Risiko, bei einer Infektion ein akutes Koronarsyndrom zu entwickeln. Herzinsuffiziente neigen dazu, durch die begleitende Stressreaktion kardial zu dekompensieren.

Auch die gängigen Coronaviren können das Herz-Kreislauf-System in Mitleidenschaft ziehen. Dass vorbelastete Patienten nun schwerere COVID-19-Verläufe entwickeln als Herzgesunde, liegt also nahe. SARS-CoV-2 dringt – wie sein Verwandter SARS-CoV – mithilfe des Oberflächenmoleküls Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) in die Wirtszelle ein. Dieses Protein findet sich in den Atemwegen sowie an Gefäßendothel und glatter Gefäßmuskulatur, am Dünndarmepithel und auf Immunzellen, erklären Dr. Mohammad Madjid vom University of Texas Health Science Center in Houston und Kollegen.1

Bis jetzt steht fest: Über 60-Jährige, Männer und Personen mit Komorbiditäten (Hypertonie, Diabetes, kardio- und zerebrovaskuläre Erkrankungen) laufen besonders Gefahr, an der SARS-CoV-2-Infektion zu sterben. Die Allgemeingültigkeit des Risikofaktors „männliches Geschlecht“ stellen Experten allerdings infrage. Denn viele Daten kommen aus China, wo mehr als jeder zweite Mann raucht, aber nur 3 % der Frauen. Dies könnte den beobachteten Unterschied erklären.

Myokardialer Schaden beeinflusst die Prognose

Wie relevant die kardiovaskulären Begleitleiden sind, zeigt ein kurzer Abstecher in die Epidemiologie.­ In China lag die Sterblichkeit von COVID­-19 insgesamt bei 2,3 %, mit einer Herzkrankheit (exkl. Bluthochdruck) stieg sie auf 10,5 %, ohne Komorbiditäten betrug sie lediglich 0,9 %. Eine Fallserie mit 191 Patienten fand folgende Prävalenzen bei Gestorbenen (n = 54) und Überlebenden (n = 137): Hypertonie 48 vs. 23 %, KHK 24 vs. 1 %, Herzinsuffizienz 52 vs. 12 %, akuter Myokardschaden 59 vs. 1 %.

Vor allem der myokardiale Schaden scheint die Prognose zu beeinflussen. Pathologische Serumspiegel der kardialen Biomarker lassen sich bei schweren Verläufen regelmäßig nachweisen. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 könnte also nicht nur die Exazerbation einer Grunderkrankung fördern, sondern das Herz auch de novo schädigen, worauf mehrere Studien inzwischen hindeuten.

So untersuchten Kollegen aus Wuhan die Troponin-T-Level von 187 COVID-19-Erkrankten.2 Ungefähr jeder Dritte hatte ein kardiovaskuläres Leiden und etwa jeder Vierte einen akuten Myokardschaden (TnT-Erhöhung über die 99. Perzentile). Letzterer betraf erwartungsgemäß eher Ältere mit Komorbiditäten. Die TnT-Zunahme ging mit einer signifikant höheren Mortalität einher (59,6 vs. 8,9 %). Parallel dazu stieg zudem der NT-proBNP-Spiegel. Das Besondere: Prognostisch entscheidend war weniger das Grundleiden an sich. Von den Vorbelasteten ohne pathologisches TnT starben 13 %, von den zuvor Gesunden mit auffälligem TnT 37,5 %.

Zahlreiche Erklärungen vorhanden

Für einen solchen Myokardschaden gibt es zahlreiche Erklärungen. Sie reichen vom direkten Virusbefall über eine Plaqueruptur infolge der systemischen Inflammation bis hin zur ausgeprägten Hypoxie/­Hypoxämie. Alle potenziell zugrundeliegenden Mechanismen können in einem akuten Infarkt, einer dekompensierten Herzinsuffizienz oder einer Arrhythmie münden.

Immer wieder wird von einer starken Immunantwort auf die Infektion mit SARS-CoV-2 berichtet, verbunden mit dem Begriff des Zytokinsturms. Auch die oben genannten Patienten aus Wuhan zeigten einen CRP-Anstieg, der linear mit den TnT-Spiegeln korrelierte.

Darüber hinaus können erhöhte kardiale Biomarker für eine Myokarditis stehen. Schließlich gelten Viren als einer der häufigsten Auslöser der Herzmuskelentzündung. Anscheinend kommt es bei COVID-19 mitunter sogar zu einer kardialen Beteiligung, ohne dass eine Pneumonie auftritt, wie ein Fall aus Italien veranschaulicht.3

Mit Myokarditis zur COVID-19-Diagnose

Eine ausgeprägte Fatigue zwingt eine sonst gesunde 53-Jährige, die Notaufnahme einer italienischen Klinik aufzusuchen. Fieber hat sie nicht, dafür aber einen niedrigen Blutdruck, diffuse ST-Hebungen im EKG sowie erhöhte hs-TnT- und NT-­proBNP-­Spiegel. Das Röntgenbild des Thorax ist unauffällig. Anamnestisch berichtet die Frau über Fieber und trockenen Husten vor einer Woche. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie entnehmen die Ärzte einen nasopharyngealen Abstrich und testen auf SARS-CoV-2. Das Ergebnis der Echtzeit-PCR: positiv. Zusammen mit der stark eingeschränkten linksventrikulären Ejektionsfraktion (35 %) spricht das MRT für eine akute Perimyokarditis (diffuses biventrikuläres Ödem, late enhancement, Perikarderguss). Auf eine Biopsie zur histologischen Bestätigung verzichten die Kollegen. Neben einer Herzinsuffizienztherapie samt Inotropika erhält die Patientin Kortikosteroide, Chloroquin und Lopinavir/Ritonavir. Darunter stabilisiert sich ihr Zustand.

Um Betroffene adäquat versorgen zu können, muss man den Einfluss von SARS-CoV-2 auf das kardiovaskuläre System noch besser verstehen. In bisherigen Analysen wurde zu wenig zwischen den Grunderkrankungen unterschieden, kritisieren chinesische Kardiologen.4 Sie empfehlen, Komplikationen in allen betroffenen Ländern zu beobachten und auf andere prognostisch relevante Risikofaktoren zu achten. Die therapeutische Strategie beschränkt sich vorerst darauf, Komplikationen leitliniengerecht zu behandeln. Womöglich ergeben sich aus dem täglich wachsenden Wissen zu COVID-19 bald weitere Handlungsanweisungen. Zum Beispiel das Messen von kardialen Biomarkern zur Risikostratifizierung oder Triage.

Quellen:
1. Madjid M et al. JAMA Cardiol 2020; DOI: 10.1001/jamacardio.2020.1286
2. Guo T et al. A.a.O. DOI: 10.1001/jamacardio.2020.1017
3. Inciardi RM et al. A.a.O. DOI: 10.1001/jamacardio.2020.1096
4. Yang C, Jin Z. A.a.O. DOI: 10.1001/jamacardio.2020.0934