Leitlinienempfehlung bei Anaphylaxie wird nicht umgesetzt
In Europa liegt die Inzidenz von Anaphylaxien zwischen 7,9 und 9,6 pro 100 000 Einwohnern und Jahr. Und die Zahlen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, berichtete Professor Dr. Margitta Worm von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Charité Universitätsmedizin Berlin. Das gilt vor allem für Kinder, die inzwischen etwa ein Drittel der Fälle ausmachen.
Hierzulande wird die lebensbedrohliche Hypersensitivitätsreaktion zu etwa 50 % durch Insekten, vorwiegend Wespen, verursacht. Auf Nahrungsmitteln beruhen ca. 30 %, der Rest geht auf Kosten von Medikamenten. Unter den Nahrungsmitteln führen ganz klar Erdnüsse die Liste der Auslöser an, bei den Arzneimitteln sind es Analgetika und Antibiotika.
Als Risikofaktoren für schwere Reaktionen gelten die Mastozytose, kardiologische und Schilddrüsenerkrankungen, Asthma bronchiale sowie die Einnahme von Betablockern. Es gibt zudem eine Reihe äußerer Komponenten, die Einfluss auf den Schweregrad nehmen, erklärte Professor Dr. Johannes Ring vom Haut- und Laserzentrum an der Oper in München. Dazu gehören Sport, Wetter und Klima, Stress, Infektionen, Alkohol, andere Medikamente und weitere Allergene. „Eine Summationsanaphylaxie ist die Regel, nicht die Ausnahme“, betonte der Kollege.
Schweregrade der Anaphylaxie | ||||
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Grad | Symptome | |||
Haut- und subjektive Allgemeinsymptome | Gastrointestinaltrakt | Respirationstrakt | Herz-/Kreislaufsystem | |
I | Pruritus Flush Urtikaria Angioödem* | - | - | - |
II | Pruritus Flush Urtikaria Angioödem* | Nausea
| Rhinorrhö
| Tachykardie (Anstieg > 20/min), Blutdruckabfall (> 20 mmHg syst.) Arrhythmie |
III | Pruritus Flush Urtikaria Angioödem* | Erbrechen
| Larynxödem
| Schock
|
IV | Pruritus Flush Urtikaria Angioödem* | Erbrechen
| Atemstillstand
| Herzstillstand
|
* nicht obligatorisch, es müssen nicht alle Symptome auftreten Ab Grad II sollte eine stationäre Überwachung über 24 Stunden erfolgen. |
Die Haut ist praktisch immer betroffen
Die allergische Reaktion kann sich durch Prodromi ankündigen, heute als „subjektive Symptome“ bezeichnet. Prof. Ring nannte dazu:
- kalter Schweiß
- Flirren vor den Augen, Sehstörungen
- Angstgefühl
- Parästhesien an Handflächen, Fußsohlen oder im Genitalbereich
- Hitzegefühl
- abnormer Geschmack (z.B. Metall, Fisch)
- Übelkeit In der Anamnese hilft das AMPEL-Schema (s. Kasten).
Den Auslösern nachforschen
M: Medikation
P: Patientenvorgeschichte
E: Ereignisse
L: letzte Mahlzeit
Nur jeder fünfte Notarzt greift zum Adrenalin
So weit die Theorie. Doch die Realität sieht anders aus. Während Notärzte die ebenfalls empfohlenen, aber untergeordneten Antihistaminika und Steroide noch regelmäßig und ohne Bedenken verabreichen, gibt höchstens jeder fünfte von ihnen Adrenalin. Das zeigen Daten der ADAC-Luftrettung. Übersteht der Patient die Anaphylaxie, sollte er nicht darauf bauen, danach ohne Weiteres eine medikamentöse Prophylaxe zu erhalten. In der Notfall- und Primärversorgung bekommt gerade einmal die Hälfte aller Insektengiftallergiker eine Medikation für den Notfall verschrieben.Zwei Autoinjektoren ab 100 kg Körpergewicht
Bei den Lebensmittelsensitiven sind es etwa 30 %, bei solchen mit einer Reaktion auf Medikamente nur 13 %. In spezialisierten Zentren sehen die Zahlen besser aus: Insektengift- und Lebensmittelallergiker erhalten zu beinahe 100 % eine Vorsorge, die Arzneiempfindlichen aber auch dort nur zu knapp 40 %. Was die indikationsgerechte Verschreibung eines Adrenalinautoinjektors angeht (s. Kasten): Die bekommen laut Prof. Worm insgesamt 37 % der Anaphylaxiepatienten in Notfall- und Hausarztpraxen und 84 % in den Zentren.Indikationen für einen Adrenalinautoinjektor
- systemische allergische Reaktion mit extrakutanen Symptomen auf potente Allergene (z.B. Erdnuss)
- progrediente Schwere der Symptomatik
- anaphylaktische Reaktionen gegen nicht sicher vermeidbare Auslöser in der Anamnese
- hoher Sensibilisierungsgrad mit erhöhtem Anaphylaxierisiko (vor Provokationstest)
- Patienten, die schon auf kleinste Allergenmengen reagieren
- Erwachsene mit Mastozytose (auch ohne bekannte Anaphylaxie)
Quelle: Allergologie im Kloster