Hirsutismus
Unter Hirsutismus versteht man eine Behaarung bei Frauen, die dem männlichen Verteilungsmuster (Kinn, Oberlippe, Hals, Rücken, Brust, etc.) ähnelt. Die Ausprägung kann von ganz mild bis sehr ausgeprägt reichen.
Der Abklärungs- und Behandlungsbedarf hängt dabei entscheidend vom Ausmaß und dem damit einhergehenden individuellen Leidensdruck zusammen. In den meisten Fällen (etwa 90 %) liegt keine Grunderkrankung zugrunde (idiopathischer Hirsutismus).Ursache ist dann vermutlich eine erblich bedingte Übersensibilität der Haarfollikel gegenüber Testosteron.
Häufig entwickelt sich der Hirsutismus infolge von hormonellen Umstellungen, besonders in der Pubertät, während der Schwangerschaft und in den Wechseljahren. Dabei scheinen dunkle Haut- und Haartypen gefährdeter zu sein als helle.
Hormonelle Störungen
Liegt der vermehrten Körperbehaarung eine hormonelle Störung mit vermehrten männlichen Hormonen zugrunde, findet man häufig weitere Anzeichen des Hyperandrogenismus wie Regelzyklusstörungen, fettige Haut und Akne, Verringerung der Kopfbehaarung (androgene Alopezie) oder ein Tieferwerden der Stimme.
Mögliche Ursachen des Hyperandrogenismus sind:
1. Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS – siehe dort)
2. Adrenogenitales Syndrom (AGS)
Unter AGS fasst man eine Gruppe von Cortisolbildungsstörungen der Nebennieren zusammen. Es handelt sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung, der verschiedene Enzymdefekte (am häufigsten 21-Hydroxylasemangel) zugrunde liegen können. Das Fehlen der negativen Feedback-Wirkung von Cortisol auf die Hypophyse führt zu einer gesteigerten ACTH-Sekretion, wodurch verstärkt Androgene in der Nebennierenrinde produziert werden.
„Klassisches" AGS:
Bei genotypischen Frauen (XX) kann es von Geburt an zu einem männlichen Phänotyp (Pseudohermaphroditismus femininus) mit Klitorishypertrophie kommen. Bei genotypsichen Männern (XY) wird eine Pseudopubertas praecox, ein vergrößerter Penis und ein verkleinerter Hoden beobachtet.
Diese Form wird in der Regel beim Neugeborenen-Screening erfasst. Ist zusätzlich die Aldosteronproduktion gestört, droht ein schwerer Hypoaldosteronismus mit lebensgefährlichem Elektrolytverlust und Dehydration (Salzverlustsyndrom).
„Late onset“-AGS:
Hierbei handelt es sich um eine milde Verlaufsform mit 25–50%iger Restaktivität der 21-Hydroxylase. Bei Männern wird diese Erkrankung oft gar nicht erkannt, bei Frauen kann es ab der Pubertät zu Symptomen wie Hirsutismus, vorzeitiger Schambehaarung, starker Akne, Zyklusstörungen und Infertilität kommen.
3. Androgen-produzierende Tumoren der Nebenniere oder des Ovars
Weitere Ursachen des Hirsutismus können sein:
- Medikamente (z.B. Androgene, Anabolika, Gestagene, ACTH, Glukokortikoide, Minoxidil, Ciclosporin, Diazoxid)
- Hyperprolaktinämie
- Akromegalie (vermehrte Produktion von Wachstumshormon)
- hypophysärer Morbus Cushing (vermehrte ACTH Produktion)
- Porphyrie
- neurologische Erkrankungen
- als Symptom anderer Erkrankungen (z.B. Adipositas, Diabetes, M. Cushing, Osteoporose)
Typisch ist ein männlicher Behaarungstyp an folgenden Körperregionen
- Oberlippe
- Kinn
- Brust
- Rücken
- Lenden
- Oberbauch
- Unterbauch
- Oberarm
- Oberschenkel
Zur Klassifikation kann die Skala nach Ferryman und Gallwey genutzt werden. Dabei wird jede der neun Körperregionen mit 0 (keine Haare) bis 4 (ausgeprägter dichter Haarwuchs) bewertet.
Bei der körperlichen Untersuchung sollte das Ausmaß des Hirsutismus anhand der Skala nach Ferryman und Gallwey bestimmt werden. Außerdem müssen Hinweise auf eine Hyperandrogenämie wie fettige Haut/Akne, Alopezie und Zyklusstörungen erfasst werden.
Hormondiagnostik:
- Gesamttestosteron/freies Testosteron: Nachweis einer Hyperandrogenämie
- Dihydroepiandrosteronsulfat (DHEAS): Nachweis einer androgenen Hyperandrogenämie
- Sexuahormon-bindendes Globulin (SHBG): Ermittlung der freien Androgene
- 17-alpha-Hydroxyprogesteron: Abklärung eines AGS
- Basisbestimmung der Gonadotropine (LH, FSH) sowie Östrogen und Progesteron
- Schilddrüsenhormone
- Prolaktin
Je nach vermuteter Ursache können weitere Untersuchungen wie CT oder Sonographie des Bauchraumes zum Nachweis von Ovar- oder Nebennierenrindentumoren oder auch genetische Untersuchungen erforderlich sein.
Wichtige Differenzialdiagnosen sind:
- Adrenogenitales Syndrom
- Hyperprolaktinämie/ Prolaktinom
- Morbus Cushing/Cushing-Syndrom
- Gonadotrope Hypophysenfunktionsstörung
- Androgen-bildende Nebennierentumoren
- Androgen-bildende Ovarialtumore
- Primäre Ovarialinsuffizienz
- Postmenopausaler Hirsutismus
- Hypothyreose
Die Behandlung des Hirsutismus ist immer eine individuelle Entscheidung, die u.a. von der Ausprägung, dem Leidensdruck, einem möglicherweise bestehenden Kinderwunsch und natürlich auch von der Grunderkrankung abhängt. Die Behandlung der Grunderkrankung (z.B. Operation bei hormonproduzierenden Tumoren, Therapie von Schilddrüsenerkrankungen etc.) steht dabei immer an erster Stelle.
Therapie des AGS:
Lebenslange Substitution des Cortisolmangels (und ggf. Mineralkortikoidmangels)
Therapie des PCOS (siehe dort)
Symptomatische Therapie der Hyperandrogenämie:
- kombinierte orale Kontrazeptiva (bei fehlendem Kinderwunsch)
- Antiandrogene (Cyproteronacetat)
- GnRH-Analoga
- Eflornithin-Creme (zur lokalen Behandlung vor allem im Gesicht)
Kosmetische Behandlung:
Bei leichtem Hirsutismus kann eine kosmetische Behandlung wie regelmäßiges Wegrasieren, Epilieren oder der Einsatz chemischer Enthaarungsmittel helfen. Alternativen sind Laserenthaarung, Veröden der Haarwurzeln oder Bleichung dunkler Haare durch Wasserstoffperoxid – dies sollte aber Hautärzten oder spezialiserten Kosmetikerinnen überlassen werden.
Eine Prävention ist nicht bekannt.
Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugenmedizin: Adrenogenitales Syndrom
Weitere Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e.V.: „Hirsutismus“
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