Abwehr in der Defensive

Dr. Judith Lorenz

Dass das Immunsystem bei einigen Menschen schwacher ist als bei anderen, kann unterschiedlichste Ursachen haben. Dass das Immunsystem bei einigen Menschen schwacher ist als bei anderen, kann unterschiedlichste Ursachen haben. © Kudryavtsev – stock.adobe.com

Einer Immunschwäche liegt nur selten ein genetischer Defekt zugrunde, deutlich häufiger handelt es sich um eine erworbene Problematik. Was begünstigt solche sekundären Immundefekte und welche Personen sind am stärksten gefährdet?

Die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie macht deutlich, wie wichtig ein gut funktionierendes Immunsystem ist, schreiben Dr. Karen Tuano vom Department of Pediatrics am Baylor College of Medicine in Houston und Kollegen. Bei einer beeinträchtigten Abwehr drohen schwere Infektionsverläufe. Sekundäre Immundefekte sind definiert als eine vorübergehende oder dauerhafte Funktionsstörung von Zellen oder Geweben des Immunsystems infolge extrinsischer Ursachen, erläutern die Wissenschaftler. Zu den möglichen Ursachen gehören unter anderem:

  • Mangelernährung
  • Stoffwechselerkrankungen (z.B. Diabetes)
  • Enteropathie mit Proteinverlust
  • Nephropathie
  • zystische Fibrose
  • Therapie mit Immunsuppressiva
  • Infektionen
  • hämatologische Krebserkrankungen (Lymphome, Myelome, Leukämien)
  • Chemotherapien, Bestrahlungen
  • schwere Traumata (z.B. Unfälle, große Operationen, Verbrennungen)
  • UV-Strahlung
  • Stress
  • extreme Umweltbedingungen (Höhen- und Weltraumaufenthalte)

Infektanfälliger sind auch sehr junge und sehr alte Menschen sowie Patienten mit Trisomie 21, Turner-Syndrom oder nach Thymektomie und Splenektomie.

Weltweit ist Unterernährung die Hauptursache für eine erworbene Immundefizienz. Der Mangel an Mikro- und Makronährstoffen beeinträchtigt unmittelbar die lymphatischen Organe und schwächt nahezu alle Komponenten der Immunabwehr. Besonders problematisch ist dabei, dass Kinder unter­ernährter Mütter unter Umständen lebenslang ebenfalls an einer gestörten Immunabwehr leiden.

Der in den letzten Jahrzehnten am besten untersuchte sekundäre Immundefekt ist die durch HIV ausgelöste erworbenene Immunschwäche AIDS. HIV befällt gezielt die CD4-T-Zellen und beeinträchtigt auf diese Weise die Abwehr gegen opportunis­tische Infektionen. Auch das Masern­virus kann für Monate oder Jahre ein vorher gesundes Immunsystem schwächen. Im Rahmen von COVID-19 sind ebenfalls schwere immunologische Veränderungen möglich, die im schlimmsten Fall zu einer massiven Inflammationsantwort mit Zytokinsturm führen. In dessen Folge erschöpfen sich die T-Zellen, wird das Lungengewebe zerstört und es kommt zur Hypoxie – ideale Voraussetzungen für bakterielle Sekundär­infektionen.

Unter bakteriellen Primärinfektionen heben Dr. Tuano und Kollegen solche mit Mycobacterium tuberculosis als immungefährdend hervor, denn der Erreger greift die T-Zell-Aktivität an.

Besonders infektanfällig sind Neugeborene durch ihre noch unreife angeborene und adaptive Immunität. Frühgeborenen fehlt zudem der Nestschutz durch die im dritten Trimenon transplazentar übertragenen mütterlichen IgG. Auch ältere Menschen haben durch die Immunseneszenz mit nachlassender zellulärer und humoraler Immunantwort ein erhöhtes Risiko für Infektionen und für deren schweren Verlauf. Dies spiegelt sich gegenwärtig in der hohen Mortalität der Senioren bei einer SARS-CoV-2-Infektion wider. 

Das ist bei Immunschwäche zu tun

Personen mit sekundären Immundefekten sollten Menschenansammlungen sowie Kontakte mit potenziell infektiösen Menschen und Umweltpathogenen meiden, empfehlen die Experten. Regelmäßige klinische Kontrollen sind wichtig, um systemische und invasive Infektionen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend behandeln zu können. Gegebenenfalls kann man eine Antibiotika­prophylaxe oder eine IgG-Substitution (z.B. bei niedrigen Serumspiegeln oder fehlender Antikörperantwort auf eine Pneumokokkenimpfung) erwägen. Für Personen mit Defekten der spezifischen antibakteriellen Immunität (z. B. nach Splenektomie) oder hohem Risiko für invasive Infektionen (z.B. durch Cochlea-Implantate) sind Impfungen gegen bekapselte Bakterien wie Pneumokokken und Haemophilus influenzae indiziert. Bedeutung hat auch die Vervollständigung des Impfkatalogs. Lebendvakzine dürfen bei schwerer Immundefizienz allerdings nicht verabreicht werden.

Viele sekundäre Immundefekte werden iatrogen induziert: Zytostatika, Proteinkinasehemmer, Bio­logika oder Immunsuppressiva wie Glukokortikoide kommen bei verschiedenen Autoimmun-, inflammatorischen und Tumorerkrankungen, Allergien sowie nach Transplantationen zum Einsatz. Unter den Biologika sind vor allem TNF-α-Inhibitoren und Anti-CD20-Antikörper weit verbreitet. TNF-α spielt eine zentrale Rolle bei der Mykobakterienabwehr, die die Antagonisten beeinträchtigen. Anti-CD20-Antikörper wie Rituximab richten sich gegen die B-Zellen und schwächen die humorale Immunabwehr: Eine persistierende Hypogammaglobulin­ämie kann die Folge sein.

Quelle: Tuano KS et al. Ann Allergy Asthma Immunol 2021; 127: 617-626; DOI: 10.1016/j.anai.2021.08.413

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