Erektile Dysfunktion und Diabetes – unterschätztes Phänomen mit guten Behandlungsmöglichkeiten

Dr. Saskia Morgenstern, Prof. Dr. Michael Sohn

Die Behandlungsmöglichkeiten der erektilen Dysfunktion reichen von Medikamenten bis zu Prothesen. Die Behandlungsmöglichkeiten der erektilen Dysfunktion reichen von Medikamenten bis zu Prothesen. © iStock/Kanizphoto

Mehr als die Hälfte der Männer mit Diabetes ist von einer erektilen Dysfunktion betroffen, was einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Selbstwertgefühl, Lebensqualität und Partnerschaftsdynamik bedeutet. Doch trotz guter Therapieoptionen mit sehr hohen Zufriedenheitsraten nimmt dieses meist schambehaftete Thema in der täglichen Praxis noch zu wenig Raum ein.

Erektile Dysfunktion (ED) beschreibt die Unfähigkeit, eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion aufrechtzuerhalten. Mehr als jeder zweite männliche Dia­betespatient ist davon betroffen (52,5 %). Dies entspricht einer etwa 3,5-fach höheren Prävalenz im Vergleich zu Kontrollgruppen, wie eine systematische Metaanalyse an insgesamt 88.577 Männern mit Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetes und einem durchschnittlichen Alter von 55,8 Jahren zeigte.1

Gleichzeitig haben sexuelle Aktivitäten auch mit zunehmendem Alter einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert. So finden sich in der Literatur Angaben, dass über die Hälfte der über 70-Jährigen noch regelmäßig sexuellen Aktivitäten nachgeht.2,3 Eine über 25 Jahre geführte Langzeitstudie konnte Geschlechtsverkehr bis ins Alter hinein sogar als einen signifikanten Faktor für eine höhere Lebenserwartung identifizieren.4

Werden gezielt die jüngeren Patienten mit Typ-1-Diabetes betrachtet, zeigt sich nicht nur ein eklatanter Prävalenzunterschied beim Vorliegen einer unzureichenden Erektionsfähigkeit, sondern es ergeben sich auch deutliche Hinweise auf deren potenzielle psychische Auswirkungen. So fand man in einer umfangreichen Studie mit 18–35-jährigen Männern mit Typ-1-Diabetes eine ED-Prävalenz von 37 % im Vergleich zu 6 % in der altersgematchten Kontrollgruppe. Zusätzliche per Fragebogen erhobene Parameter belegen zudem eine deutliche Assoziation von Depression und erektiler Dysfunktion.5

Groß angelegte epidemiologische Studien zeigen darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen ED und dem Vorliegen von Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) und dem metabolischen Syndrom. Personen mit erektiler Dysfunktion weisen ein signifikant erhöhtes Risiko für z.B. KHK, Apoplex und zu deren Mortalität auf. Zunehmend kristallisiert sich die ED als Faktor heraus, der die Screening-Sensitivität für asymptomatische CVD erhöhen kann.8

Operative Therapie

Nach Ausschöpfen der oralen und lokalen Therapien – und ggf. deren Kombinationen – stehen als dritte Säule die Penisprothesen. Grundsätzlich kommen zwei Prothesenarten zum Einsatz. Die komplikationsärmere, aber auch weniger natürlich imponierende, Variante der semirigiden Schwellkörperimplantate besteht aus biegsamen Stäben, die in die kavernösen Schwellkörper eingebracht werden (Abb. 2a). Bei der dreiteiligen, hydraulischen Variante werden die ebenfalls in den Corpora cavernosae implantierten Zylinder mit einem Flüssigkeitsreservoir und einer skrotal zum Liegen kommenden Pumpe verbunden. Über diese werden die Zylinder für die gewünschte Dauer des Geschlechtsverkehrs mit Flüssigkeit aus dem Reservoir befüllt (Abb. 2b). Passager können postoperative Schmerzen und Schwellungen auftreten. Schwerer wiegende Komplikationen sind Arrosionen der Prothese durch die Haut oder Infektionen, die meist eine Prothesenexplantation nach sich ziehen. Durch zunehmend robustere Materialien mit antibakteriellen Eigenschaften lassen sich die Infektionsraten von etwa 2–3 % auf 1–2 % reduzieren.8 Die Zahlen stammen aus spezialisierten Zentren mit hohen Fallzahlen, was die Notwendigkeit der operativen Expertise aufzeigt.

In der Regel erfolgt die Implantation der Schwellkörperprothesen über einen kleinen Schnitt zwischen Hodensack und Penis.
Wie bei jedem Implantat sollte der Patient auf die Notwendigkeit von Revisions-OP zum Austausch von Prothesenkomponenten bei mechanischem Versagen hingewiesen werden. Unter allen Therapieformen führt die Prothesenimplantation zu den höchsten Zufriedenheitsraten von 92–100 % bei den Betroffenen und 91–95 % deren Partnerinnen bzw. Partner. Jedoch sind die sorgfältige Patientenauswahl, die operative Durchführung durch spezialisierte Urologinnen und Urologen und eine detaillierte Aufklärung mit dem Ziel einer realistischen Erwartungshaltung für ein gutes Outcome essenziell. Dabei unbedingt zu nennen ist, dass sich die protheseninduzierte Erektion bei voller Funktionalität sowie erhaltener Orgasmus- und Ejakulationsfähigkeit in Optik und Haptik von der natürlichen Erektion unterscheidet, da die Eichel nicht mit anschwillt. Die Behandlungskosten werden bei ärztlich bestätigter Indikation, teils mit Nachweis der bereits durchlaufenen Therapieschritte, i.d.R. problemlos von den Kassen übernommen. Dies gilt bis dato leider nicht für die oral-medikamentöse Therapie.

Quellen:
1. Kouidrat Y et al. Diabet Med 2017; 34: 1185-1192; DOI: 10.1111/dme.13403
2. Freak-Poli R et al. Gerontology 2018; 64: 589-602; DOI: 10.1159/000490560
3. Chung HS et al. Sex Med 2020; 8: 643-649; DOI: 10.1016/j.esxm.2020.06.011
4. Palmore EB. Gerontologist 1982; 22: 513-518; DOI: 10.1093/geront/22.6.513
5. Maiorino MI et al. Int J Impot Res 2017; 29: 17-22; DOI: 10.1038/ijir.2016.38
6. Malavige LS, Levy JC. J Sex Med 2009; 6: 1232-1247; DOI: 10.1111/j.1743-6109.2008.01168.x
7. Corona G et al. J Sex Med 2010; 7: 1362-1380; DOI: 10.1111/j.1743-6109.2009.01601.x
8. EAU Guidelines. Edn. presented at the EAU Annual Congress Amsterdam 2020
9. Kalter-Leibovici O et al. Diabetes Care 2005; 28: 1739-1744; DOI: 10.2337/diacare.28.7.1739
10. Nehra A et al. Mayo Clin Proc 2012; 87: 766–778; DOI: 10.1016/j.mayocp.2012.06.015
11. Hatzimouratidis K, Hatzichristou D. Curr Diab Rep 2014; 14: 545; DOI: 10.1007/s11892-014-0545-6
12. The Risks and Complications of Uncontrolled Diabetes. WebMD-Website.
13. Hatzimouratidis K et al. Eur Urol 2010; 57: 804-814; DOI: 10.1016/j.eururo.2010.02.020
14. Yuan J et al. Int J Impot Res 2010; 22: 211-219; DOI: 10.1038/ijir.2010.4
15. Levine L, Dimitrious R. Urologic Clinics of North America 2001; 28: 335-341
16. Cookson MS, Nadig PW. J Urol 1993; 149: 290-294; DOI: 10.1016/s0022-5347(17)36059-7
17. Wilson SK et al. J Sex Med 2007; 4: 1074-1079; DOI: 10.1111/j.1743-6109.2007.00540.x

Erektile Dysfunktion – die Hintergründe

Bei der erektilen Dysfunktion (ED) handelt es sich um ein multifaktoriell bedingtes Symptom, dem z.B. neurogene, anatomische, hormonelle oder psychogene Faktoren zugrunde liegen können. Oft sind mehrere davon simultan vorhanden und verstärken sich teilweise wechselseitig.8 Neben einem höheren Alter und Diabetes können u.a. Hyperlipidämie, arterielle Hypertonie und Adipositas das Risiko für eine ED erhöhen. Es existieren Korrelationen zur Einnahme von Thiazid-­Diuretika und Betablockern (außer Nebivolol). Für ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Inhibitoren und Kalziumkanalblocker bestehen dagegen neutrale bis leicht protektive Effekte.8 Mehr als ein Drittel der 50–69-Jährigen ist von einer ED betroffen. Von ihnen leidet mind. jeder Dritte deutlich unter dem unzureichenden Ausleben seiner Sexualität.7 Bei Männern mit Diabetes beginnt die ED im Schnitt 10–15 Jahre früher, ist schwerer ausgeprägt und lässt sich schlechter medikamentös behandeln als bei Männern ohne Diabetes.6 Zudem steigt bei ihnen die Häufigkeit der ED mit dem Alter und zunehmender Diabetesdauer, korreliert mit einer unzureichenden glykämischen Kontrolle, mikrovaskulären Komplikationen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.6,9

Dem starken Zusammenhang zwischen einer erektilen Dysfunktion und CVD trägt die Risikoklassifikation der „Princeton Consensus conferences on sexual dysfunction and cardiac risk“ Rechnung, auf deren Basis sich Behandlungsalgorithmen für Risikopatienten ableiten lassen.10,8 In der urologischen Praxis überweist man deshalb Patienten mit bisher leerer kardiovaskulärer Anamnese meist vor Therapiebeginn zunächst zu kardiologischen Untersuchungen inkl. Belastungs-EKG. Die Abklärung der ED und die Einleitung einer adäquaten, individuellen Therapie durch darauf spezialisierte Urologinnen und Urologen umfasst neben validierten Fragebögen eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung sowie eine laborchemische Prüfung von Nüchternglukosespiegel, HbA1c, Lipiden und, falls indiziert, eine morgendliche Testosteronbestimmung. Grundsätzlich steht vor Therapiestart zunächst eine Behandlung/Optimierung von Komorbiditäten, die der ED zugrunde liegen oder diese verstärken könnten. Manchmal verbessern bereits Lifestyleveränderungen wie regelmäßige körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion und Nikotinkarenz die erektile Funktion schon deutlich.8 Die spezifische Therapie der ED umfasst im Wesentlichen drei Säulen, die je nach Genese entweder schrittweise durchlaufen, kombiniert oder alleinig indiziert sind:
  1. orale Medikation, z.B. Sildenafil
  2. lokale Maßnahmen wie die Vakuumpumpentherapie oder in Harnröhre bzw. Schwellkörper applizierte Medikation
  3. operative Maßnahmen, etwa Implantation von Schwellkörperprothesen

Orale Therapie

Aktuell sind in Europa vier Medikamente der Substanzgruppe der Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE5I) für die orale Therapie der ED zugelassen. PDE5I der neueren Generation unterscheiden sich von Sildenafil in Wirkeintritt, Halbwertszeit und Nebenwirkungsspektrum. Im Schwellkörper sorgen sie für eine verlängerte und verstärkte Erektion, die jedoch stets durch sexuelle Stimulation initiiert werden muss. Eine alleinige Tabletteneinnahme reicht nicht für eine Erektion. Pathophysiologisch führt die Inhibierung von PDE5 zu einer Relaxation der glatten Muskelzellen im Schwellkörpergewebe, was wiederum zu einer Verstärkung des arteriellen Blutflusses mit daraus bedingter Kompression des unter der Tunica gelegenen venösen Plexus führt. Da bei Menschen mit Diabetes oft eine krankheitsbedingte Schädigung der für diese Wirkung notwendigen nervalen und endothelialen Funktion vorliegt, sind PDE5-Hemmer bei ihnen oft weniger wirksam als bei Personen ohne Diabetes.11,12 In der Praxis werden verschiedene Medikamente individuell für den Patienten als Bedarfs- oder Dauermedikation verordnet, alleinig oder in Kombination. Nach Ausschluss absoluter Kontraindikation wie der Einnahme nitrathaltiger Präparate oder dem Vorliegend einer instabilen Angina pectoris stellen PDE5I eine sichere und effiziente Therapieoption dar. Trotz initial vergleichsweise hoher Ansprechraten von 60–75 % kommt es im Verlauf in bis zu mehr als 50 % der Fälle zum Therapieabbruch.13

Lokale Therapie

Bei unzureichendem Therapieerfolg mit oraler Medikation können Behandelnde auf lokal wirkende Verfahren ausweichen. Rein mechanisch lässt sich mittels Vakuumpumpe eine Erektion induzieren, die mit einem an der Peniswurzel applizierten Gummiring für die Dauer des Geschlechtsverkehrs aufrecht erhalten wird (Abb. 1a). Die hierdurch nicht-invasiv induzierte Erektion unterscheidet sich in Haptik und Farbe durch die venöse Stase von der ohne Hilfsmittel erzeugten Erektion. In der Regel imponiert diese größer, fühlt sich kühler an und weist eine leicht bläuliche Färbung auf, Sensibilität und Orgasmusfähigkeit sind meist unbeeinträchtigt, es können jedoch leichte Schmerzen auftreten.14,15 Zu den Vorteilen zählen die Freiheit von potenziell nebenwirkungsträchtigen Substanzen und die Kosteneffektivität. Studien mit Diabetespatienten zeigten Ansprechraten von bis zu 75 %, die Abbruchquoten nach zwei Jahren betragen 50 %.14,16

Als weitere therapeutische Option ist Alprostadil (Prostaglandin E1) zu nennen. Das vasoaktive Gewebshormon kann entweder topisch/intraurethral (Abb. 1b) oder direkt in die cavernösen Schwellkörper appliziert werden (Abb. 1c). Das Therapieansprechen bei Ersterem beträgt 30–65,9 %. Die hohe Abbruchquote von ca. 70 % mag den Nebenwirkungen geschuldet sein: In bis zu 41 % der Fälle kommt es zu teils starken lokalen Schmerzen. Auch Blutungen aus der Harnröhre, Hypotonie und Schwindel sind bekannt.8 Intracavernös injiziert wird Alprostadil mit einer feiner Nadel direkt in die Schwellkörper, was bei Patienten mit und ohne Diabetes in gleichem Maße zu einer ca. 70%igen Erfolgsrate führt. Trotzdem liegt auch hier die Abbruchquote mit 41–68 % vergleichsweise hoch. Als häufigste Nebenwirkungen sind lokale Schmerzen zu nennen, von denen etwa 50 % der Patienten berichten. Allerdings nehmen diese immer mehr ab, je länger die Therapie dauert. Bei etwa 5 % kommt es zu verlängerten Erektionen, bei ca. 1 % zum manifesten Priapismus und in rund 2 % der Fälle werden Schwellkörperfibrosen beobachtet.8

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Die Behandlungsmöglichkeiten der erektilen Dysfunktion reichen von Medikamenten bis zu Prothesen. Die Behandlungsmöglichkeiten der erektilen Dysfunktion reichen von Medikamenten bis zu Prothesen. © iStock/Kanizphoto
Dr. Saskia Morgenstern, Sektionsleiterin Rekonstruktive Urologie, Oberärztin der Klinik für Urologie, Agaplesion Markus-Krankenhaus Frankfurt am Main Dr. Saskia Morgenstern, Sektionsleiterin Rekonstruktive Urologie, Oberärztin der Klinik für Urologie, Agaplesion Markus-Krankenhaus Frankfurt am Main © Privat
Prof. Dr. Michael Sohn, Senior Consultant Rekonstruktive Urologie, Klinik für Urologie,
Agaplesion Markus Krankenhaus Frankfurt am Main Prof. Dr. Michael Sohn, Senior Consultant Rekonstruktive Urologie, Klinik für Urologie, Agaplesion Markus Krankenhaus Frankfurt am Main © Privat