Ödem, Ulkus und Schweregefühl: „Adipöse sind wie gelähmt, wenn sie sitzen“

Dr. Susanne Gallus

Die Symptome der venösen Insuffizienz steigern sich je länger man im Alltag sitzt. Und auch Kilos im Bauchbereich wirken verstärkend. Die Symptome der venösen Insuffizienz steigern sich je länger man im Alltag sitzt. Und auch Kilos im Bauchbereich wirken verstärkend. © iStock/kali9

Hinter Schweregefühl, Schmerzen und Ödemen in den Beinen steckt nicht immer gleich eine Venenklappeninsuffizienz. Viele Menschen haben solche Symptome auch ohne Gefäßpathologie. Adipöse sind besonders gefährdet.

Züchten wir uns mit der funktionellen chronisch venösen Insuffizienz (CVI) eine neue Modekrankheit? Diese Frage konnte Dr. Dr. Dominik Mühlberger klar verneinen. „Die Patienten haben ja was“, ihnen fehle nur morphologisch die venöse Pathologie. Der Gefäßchirurg vom Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken des Katholischen Klinikums Bochum nannte drei wichtige Auslöser:

  • Adipositas (Dependency Syndrom)
  • Arthrogenes Stauungssyndrom
  • Mobilitätseinschränkungen

Damit stimmte er mit Dr. Tobias Hirsch von der Praxis für Innere Medizin und Gefäßkrankheiten im Venen Kompetenz-Zentrum in Halle (Saale) überein, der in seiner Liste neben den bekannten Risikofaktoren Alter, weibliches Geschlecht und Familienanamnese auch Adipositas, (vergangene) Schwangerschaften und Obstipation aufzählte.

In einer Studie, in der repräsentativ rund 1000 Einwohner der sizilianischen Stadt Acireale untersucht wurden, hatte jeder Fünfte mit Schweregefühl, Ödemen und nächtlichen Krämpfen scheinbar gesunde Adern. In dieser Gruppe konnten lediglich eine verkürzte Auffüllzeit und ein erhöhter Durchmesser festgestellt werden. Es müssen also nicht immer gleich „die Alarmglocken im Sinne einer venösen Insuffizienz läuten“, stimmte Dr. Hirsch den Studienautoren zu. Schon im Jahr 2000 schlugen diese vor, solche Beschwerden unter dem Krankheitsbild „Hypotonische Phlebopathie“, Stadium C0 (s. Kasten), zu vereinen.

CEAP-Klassifikation

CEAP ist das englische Akronym für Klinischen Befund, Ätiologie, Lokalisation und Pathophysiologie und teilt die chronisch-venöse Insuffizienz in verschiedene Schweregrade ein:
  • C0: Keine sichtbaren Zeichen einer Venenerkrankung
  • C1: Besenreiser, Teleangiektasien oder retikuläre Venen
  • C2: Varikose ohne klinische Zeichen einer CVI
  • C3: Varikose mit Ödem
  • C4: Varikose mit trophischen Hautveränderungen (Ekzem [a], Dermatoliposklerose [b])
  • C5: Varikose mit abgeheiltem Ulkus
  • C6: Varikose mit floridem Ulkus

Die Folge sind Lymphödeme und hydrostatische Ulzera

Anders sehe es bei adipösen Patienten aus (Phlebositas). Bei diesen Patienten finden sich oft C3- und C4-Zeichen, z.B. Ödeme oder trophische Hautveränderungen, obwohl im Stehen keine veränderten Druckverhältnisse in den Venen vorliegen. Die „funktionelle CVI“ entsteht durch die reduzierte Mobilität (fehlende Pumpaktivität) und die mechanische Belastung durch die Bauchfettschürze, erklärte Dr. Mühlberger. Das steigere den Druck im Venensystem und verursache in der Folge Lymphödeme und hydrostatische Ulzerationen. Professor Dr. Birgit Kahle von der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, kennt diese Patienten ebenfalls und verwies auf eine Untersuchungsreihe ihres Teams, in welcher der Bauch adipöser Patienten einen massiven venenkomprimierenden Effekt zeigte – insbesondere bei Messungen im Sitzen: „Wenn ich daran denke, dass dicke Menschen einfach durch Sitzen ihre Vena femoralis auf zehn Zentimetern komplett verschließen, hat das natürlich erhebliche Auswirkungen.“ Für die Gefäße bedeutet das eine dauerhafte Hypertonie. Hinzu kommt, dass die Muskelaktivität von Adipösen sitzend komplett zum Erliegen kommt. Sie sind dann „quasi wie gelähmt“, berichtete Dr. Gabriele Faerber vom Zentrum für Gefäßmedizin in Hamburg. Schon eine fehlende Mobilität im Sprunggelenk hat extreme Auswirkungen, da die Muskel-Gelenk-Pumpe dann nicht richtig funktioniert. Dass dies allein ausreicht, um CVI-Symptome zu verursachen, zeigt die Entität des arthrogenen Stauungssyndroms. Dr. Hirsch machte dies am Beispiel einer 45-jährigen Patientin mit Fußödem deutlich, bei der eine Arthrodese die Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks beeinträchtigte.

Kompressionstherapie steht im Mittelpunkt

Schwerer traf es einen zweiten Patienten mit versteiftem Knie und aufgehobener Sprunggelenksmobilität. Er hatte durch die fehlende Muskelpumpe sogar ein massives Ödem mit Ulkus, Hyperpigmentierung und Wundheilungsstörung entwickelt. „Doch wie soll man jetzt therapieren?“, stellte Dr. Mühlberger die medizinische Gretchenfrage: Rehamaßnahmen für Patienten mit orthopädischen Ursachen? Magenband-OP oder Iliakalvenen-Stent bei Adipösen? Stripping der V. saphena magna à la „Wer keinen Fehler misst, kann keinen Fehler feststellen“? Eine konkrete Antwort hatte der Gefäßchirurg nicht. Zwar stehe für ihn die Kompressionstherapie im Mittelpunkt, weil sie in vielen Studien gute und rasche Ergebnisse erzielt habe. Er glaube aber, dass eine multimodale Therapie die beste Lösung sei. „Das ist aber gleichzeitig die schwierigste, weil man alle Fachdisziplinen mit ins Boot holen muss.“ Dazu gehören auch die Hausärzte, betonte Dr. Mühlberger. Über eine Änderung der Lebensgewohnheiten könnte man z.B. bei Adipösen sehr viel erreichen. Doch nicht nur Dicke sind gefährdet, gab der emeritierte Präsident der Internationalen Gesellschaft für Phlebologie, Professor Dr. Eberhard Rabe, zu bedenken. „Wenn wir uns klarmachen, dass ein Großteil der Bevölkerung mehr als acht Stunden am Tag sitzt, dann haben die auch eine permanente venöse Hypertonie.“

Kongressbericht: 25. Bonner Venentage

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Die Symptome der venösen Insuffizienz steigern sich je länger man im Alltag sitzt. Und auch Kilos im Bauchbereich wirken verstärkend. Die Symptome der venösen Insuffizienz steigern sich je länger man im Alltag sitzt. Und auch Kilos im Bauchbereich wirken verstärkend. © iStock/kali9