Stimulanzien jetzt auch für Kindern mit mittelschwerer ADHS

Maria Fett

Bei Vorschulkindern sollten erst die nicht-medikamentösen Optionen ausgeschöpft werden, bevor es an die Pillchen geht. Bei Vorschulkindern sollten erst die nicht-medikamentösen Optionen ausgeschöpft werden, bevor es an die Pillchen geht. © fotolia/Andrey Khokhlov

Die neue ADHS-Leitlinie dürfte für einigen Zündstoff sorgen. Künftig können bereits Kinder mit moderater Symptomatik medikamentös behandelt werden. Auf Omega-3-Fettsäuren und Cannabis sollte hingegen besser kein Arzt vertrauen.

An der Frage nach Pharma- oder Psychotherapie bei ADHS scheiden sich die Geister. Daran wird wohl auch die neue S3-Leitlinie wenig ändern, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie erschienen ist. Eine der wesentlichen Neuerungen: Ärzte dürfen ab sofort schon bei mittelgradigen Symptomen den Einsatz von Medikamenten erwägen. Bisher gab’s das nur für Kinder mit starker Ausprägung.

Indikation zur Pharmakotherapie

Bevor Ärzte grünes Licht für eine medikamentöse Behandlung geben, gilt es nach Ansicht der Leitlinien­experten vor allem folgende Faktoren zu berücksichtigen:

  • Alter des Patienten
  • Schweregrad der Symptome
  • Beeinträchtigung in verschiedenen Lebensbereichen
  • Präferenzen von Familie und Betroffenem
  • Wirksamkeit bisheriger psychosozialer und psychotherapeutischer Maßnahmen

Für Klein- und Vorschulkinder liegt bislang nur eine geringe Evidenz vor, auf die sich Kollegen stützen können. Deshalb kommt eine Pharmako­therapie nur dann infrage, wenn die nicht-medikamentösen Optionen ausgeschöpft sind.

Eltern sollen zunächst selbst die Schulbank drücken

Im Schulalter gehen die Empfehlungen dahin, Medikamente in ein multimodales Gesamtkonzept zu integrieren. Der Schweregrad der Symptomatik sowie die Präferenzen von Patient und Familie gelten als maßgebend. Bei stark ausgeprägten Formen sprechen sich die Autoren eindeutig pro Pharmakotherapie aus – sofern zuvor ausführlich aufgeklärt wurde. Wenn die Betroffenen bzw. deren Angehörige Methylphenidat und Co. bevorzugen, können Ärzte die Behandlung sogar schon bei mittelschwerer ADHS veranlassen. Gleiches gilt, wenn andere Therapien nicht zum Erfolg führten.

Als medikamentöse Optionen nennen die Experten die Stimulanzien Methylphenidat, Amphetamin und Lisdexamphetamin sowie die Wirkstoffe Atomoxetin und Guanfacin (s. Tabelle). Dabei gilt es den jeweils aktuellen Zulassungsstatus zu beachten. Und nach welchen Kriterien sollte man das Präparat auswählen? Die Autoren nennen vor allem die erwünschte Wirkdauer und das zu erwartende Wirkprofil sowie unerwünschte Effekte und Begleit­erkrankungen.

Welcher Wirkstoff für wen?
IndikationInitiale TherapieAlternative
ADHS ohne relevante Komorbidität Stimulanzien-
ADHS mit komorbider Störung des Sozialverhaltens oder antisoziale Persönlichkeitsstörung Stimulanzien-
ADHS mit komorbider Ticstörung StimulanzienAtomoxetin oder Guanfacin
ADHS mit komorbider Angststörung StimulanzienAtomoxetin
ADHS mit missbrauchsgefährdetem Substanzkonsum lang wirksame Stimulanzien Atomoxetin oder Guanfacin
Patienten, bei denen sich ein Stimulans trotz Aufdosierung als ineffektiv erwies anderes Stimulans Atomoxetin oder Guanfacin


Auch eine etwaige Missbrauchs­gefahr und besondere Umstände sind zu beachten. Kinder könnten z.B. stigmatisiert werden, wenn sie die Medikamente während der Schulzeit einnehmen müssen. Exis­tieren mehrere, therapeutisch gleichwertige Optionen, mahnen die Experten zur Kostendisziplin.

Nicht-medikamentöse Therapie

Ein Blick in das Update macht rasch deutlich, dass Eltern von Vorschulkindern mit ADHS zunächst selbst die Schulbank drücken sollen. Es geht vor allem darum, die Krankheit und deren Symptome besser zu verstehen, das eigene Erziehungsverhalten zu optimieren und psychosoziale Probleme der Kleinen zu minimieren.

Abseits von Couch und Tabletten

Zwar deuteten einzelne Befunde in der Vergangenheit auf geringfügige positive Effekte einer Nahrungsergänzung mit Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren hin. Aufgrund der aktuellen Datenlage raten die Experten jedoch von einer Supplementierung ab, die Ergebnisse seien dafür zu dürftig. Ein eindeutiges Nein gibt es für Cannabis und Antipsychotika. Letztere seien lediglich bei starker Impulskontrollstörung und aggressivem Verhalten indiziert. Zu Substanzen wie SSRI, Modafinil, Selegilin oder Bupropion wird von den Leitlinienautoren aufgrund fehlender Evidenz ebenfalls nicht geraten.

In der Kita kommen auch die Pädagogen mit ins Boot

Mit dem Übergang in die Kita sollten dann auch Erzieher mit ins Boot geholt werden. Die Maßnahmen für Eltern wie auch für Pädagogen werden jeweils im Einzel- und Gruppensetting angeboten. Für „Einzelkämpfer“ gibt es die angeleitete Selbsthilfe. Die Autoren raten außerdem zu Programmen, die auf oppositionelles bzw. aggressives Verhalten der Kinder abzielen. Kind­zentrierte Interventionen, in denen die Kleinen lernen, ihre Spielintensität und -dauer zu verbessern, ergänzen die Behandlung. 

Quelle: S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“, AWMF-Registernr. 028-045, www.awmf.org

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Bei Vorschulkindern sollten erst die nicht-medikamentösen Optionen ausgeschöpft werden, bevor es an die Pillchen geht. Bei Vorschulkindern sollten erst die nicht-medikamentösen Optionen ausgeschöpft werden, bevor es an die Pillchen geht. © fotolia/Andrey Khokhlov