Warum der Umgang mit Palliativpatienten Ärzte überfordert

Michael Brendler

Niemand nimmt einem Sterbenskranken gerne die Hoffnung. Niemand nimmt einem Sterbenskranken gerne die Hoffnung. © iStock/gpointstudio

Was tun, wenn alle Therapieversuche scheitern? In der Medizinkultur wird das Unausweichliche meist nur distanziert betrachtet. Dementsprechend schlecht vorbereitet sind Ärzte auf den persönlichen Umgang mit Sterbenden.

Wer gesteht sich schon gerne ein, die Grenzen seiner Möglichkeiten erreicht zu haben? Für Mediziner ist es schwer, die Endlichkeit des Lebens ihrer Patienten zu akzeptieren, stellt Dr. Sofia­ C. Zambrano vom universitären Zentrum für Palliative Care am Inselspital Bern fest. Der Tod wird noch immer als eine Niederlage verstanden, was es den Ärzten erschwert, sich auch die eigene Betroffenheit und Angst einzugestehen.

Das bleibt nicht ohne Folgen: Am Patientenbett werden nur selten fatale Prognosen angesprochen. Statt zu überlegen, was der Patient sich wünscht und wie man die Lebensqualität hoch halten kann, drehen sich die Gespräche um spezifische Behandlungen und Last-minute Rettungsversuche. Zusammen mit Stress, Zeitmangel und Unsicherheit steht sich der Arzt bei der dringend nötigen offenen Kommunikation oft selbst im Weg. Denn: Niemand nimmt einem Sterbenskranken gerne die Hoffnung.

Gespräch reduziert Ängste und steigert die Zufriedenheit

Der Arzt beeinflusst generell die Art und Weise, wie der Patient stirbt: Erhält der Patient durch ehrliche und rechtzeitige Gespräche die Autonomie, seine persönlichen Angelegenheiten zu ordnen und beispielsweise wichtige Beziehungen noch einmal zu pflegen? Oder wird zwanghaft weiterbehandelt, ohne auf die Wünsche des Sterbenden einzugehen? Unzureichend informierte Patienten neigen zusätzlich dazu, durch falsch geweckte Hoffnungen z.B. aggressiven und sinnlosen chirurgischen Last-minute-Eingriffen zuzustimmen  –  hohe Komplikationsraten und lange Klinikaufenthalte inklusive. Es kann auch zu Depressionen führen, wenn z.B. Patienten zu wenig Zeit zur Sterbevorbereitung bleibt.

Ihre Zurückhaltung begründen Ärzte oft damit, dem Patienten Leid ersparen zu wollen. Paradox, denn sie verweigern ihm dadurch eine angemessene Sterbebegleitung und einen ehrlichen Entscheidungsprozess. Viele befürchten auch, dass es der Arzt-Patienten-Beziehung schadet. Nach Aussage der Expertin ist bei einem offenen, zur richtigen Zeit geführten Gespräch aber das Gegenteil der Fall, denn die Patienten sind zufriedener und weniger ängstlich – vorausgesetzt, der Patient stimmt dem Gespräch zu.

Doch wie entscheidet man sich für den richtigen Zeitpunkt? Sicher ist, Erkrankungskrisen oder das Scheitern einer Behandlung sind der falsche Moment. Denn von einem emotional aufgewühlten oder angsterfüllten Kranken sollte man keine überlegte Therapieentscheidung verlangen, weiß die Psychologin. Nur leider hat sich das noch nicht überall herumgesprochen.

Nicht erwarten, dass Patienten von sich aus aktiv werden

Am besten spricht man mit dem Betroffenen, wenn dieser sich einigermaßen gut fühlt, rät Dr. Zambrano. Hier haben Versorgungs­pläne und prognostische Gespräche potenziell die größte Wirkung. Ob es an der Zeit ist, können Sie sich z.B. auch über eine einfache Frage beantworten: „Würde es Sie erstaunen, wenn Ihr Patient in den nächsten 6–12 Monaten stirbt?“ Gleichzeitig gilt natürlich: Je früher man ein solches Gespräch führt, desto größer können die Auswirkungen auf die Patienten und ihre Angehörigen sein.

Keinesfalls darf man davon ausgehen, dass Patienten von sich aus aktiv werden, mahnt sie. Im Gegenteil: Es lasse sich belegen, dass diese darauf warten, dass ihr Doktor auf sie zukommt und das Gespräch ini­tiiert. Welcher „Doktor“ das sein sollte, ist für Dr. Zambrano nicht festgelegt. Generell kommt für sie jeder an der Versorgung beteiligte in Betracht. Gerade die Haus­ärzte könnten hier mit ihrer idealen Beziehung zum Kranken eine genauso wichtige Rolle spielen wie ein Spezialist­.

Sich den eigenen Gefühlen stellen, statt sie zu verdrängen

Bei der Gesprächsvorbereitung helfen verschiedene Leitfäden: Für das Übermitteln schlechter Nachrichten empfiehlt die Expertin zum Beispiel das SPIKES-Protokoll.

SPIKES-Protokoll

Das, was sie fachlich zu sagen haben, sollte zwar im Vordergrund stehen, aber wo, wann und wie sie das Gespräch führen, wird den Ausgang entscheiden. Ein sechs-Schritte-Protokoll (SPIKES-Protokoll) mit Beispielen, damit sie auch bei schwierigen Themen nicht den Halt verlieren, finden Sie hier.

Für prognostische Themen sei wiederum die Richtlinie „Serious Illness Conversation Guide“ geeignet.

Serious Illness Conversation Guide

Wie sagt man dem Patienten dass er nur noch 6 Wochen zu leben hat? Was sollten Sie vom Einstieg bis zum richtigen Schluss des Gesprächs berücksichtigen? Alles zum „Serious Illness Conversation Guide“ mitsamt Beispielen finden Sie hier.

Bei der Versorgungsplanung hilft das Schweizer Rahmenkonzept SENS.

Das Schweizer Rahmenkonzept SENS

Der Tod eines Patienten wiegt schwer, aber kündigt sich mitunter langfristig an. Was bleibt zu tun, wenn man feststellt, dass die sinnvollen medizinischen Grenzen des Möglichen erreicht sind? Eine Zusammenfassung des SENS-Konzeptes finden sie hier.

Die Grundregeln sind in der Regel mehr oder weniger dieselben:
  • Nicht nur den Patienten (Familienangehörige), sondern auch sich selbst auf das Gespräch vorbereiten.
  • Erlaubnis seitens des Patienten erfragen, ggf. späteren Termin zur Wahl stellen. Ohne Zustimmung kein Gespräch führen.
  • Verständnis schaffen, was der Betroffene über seine Erkrankung weiß.
  • Prognose ehrlich und einfühlsam kommunizieren, Wünsche und Ängste erfragen.
  • Das Informationsniveau an den Gegenüber anpassen.

Abgeschlossen werden solle die Kommunikation immer durch eine Überprüfung der Emotionen und der Erkenntnisse des Patienten. All das nützt am Ende nicht nur dem Kranken. Leiden und Tod mitzuerleben, kann auch bei Ärzten Stress auslösen. Die Konfrontation mit der eigenen Machtlosigkeit führt zu Erschöpfung, Stress und Unsicherheit. Und das in einem Beruf, der ohnehin das Burnout-Risiko hochtreibt. Umso wichtiger sei es, sich solchen Gefühlen zu stellen, erklärt Dr. Zambrano, das schütze vor emotionaler Erschöpfung und Misserfolgsgefühlen.

Quelle: Zambrano SC. Therap Umschau 2018; 75: 135-144

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