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Zehn Mythen um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen aufgeklärt

Sicher ist die Zahl an Märchen, die es zum Thema CED-Behandlung gibt, fast unbegrenzt, betonte Professor Dr. Torsten Kucharzik von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Gastroenterologie am Klinikum Lüneburg. Jeder Arzt habe wahrscheinlich seine ganz eigene Auswahl an Favoriten. Er präsentierte seine persönliche Top 10 der CED-Irrglauben sowie die Fakten, die sie widerlegen:
Mythos 1: Eine Dauertherapie mit Steroiden unterhalb der Cushing-Schwellendosis ist unbedenklich.
„Wir alle setzen Steroide bei CED ein – aber ich glaube nach wie vor zu viel und zu lange“, kritisierte der Kollege. Entscheidend sei nicht die ggf. niedrige Einzeldosis, sondern die kumulative Steroiddosis.
Diese ist es auch, die über die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen wie Schlafstörungen oder Gewichtszunahme bestimmt. Das Frakturrisiko ist Studien zufolge sogar in allen Dosierungen, d.h. bereits bei relativ niedrigen Mengen, relevant erhöht. Eine Dauertherapie mit Steroiden sollte daher auch in niedriger Dosierung vermieden werden, so Prof. Kucharzik.
Mythos 2: Eine längerfristige Steroidtherapie hat einen remissionserhaltenden Effekt bei CED.
Drei Studien mit Morbus-Crohn-Patienten konnten zwischen der Behandlung mit Steroiden und der Therapie mit einem Placebo über zwölf Monate keinen Unterschied hinsichtlich der Remission zeigen. Die Datenlage zur Colitis ulcerosa ist laut Prof. Kucharzik etwas schlechter – doch auch bei dieser Indikation könne man davon ausgehen, dass Steroide für den Remissionserhalt keinen Effekt haben. Glukokortikoide sollten daher in der Erhaltungstherapie bei CED vermieden werden.
Mythos 3: Methotrexat ist bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gleichermaßen wirksam.
„Für Morbus Crohn gibt es tatsächlich Daten, die zeigen, dass Methotrexat zumindest in der Erhaltungstherapie eine gute Wirksamkeit hat“, räumte Prof. Kucharzik ein. Bei dem einen oder anderen Patienten sei die Therapie also durchaus gerechtfertigt. Für die Therapie der Colitis ulcerosa hingegen konnte man in randomisierten kontrollierten Studien mit erwachsenen Patienten bisher keine Überlegenheit gegenüber Placebo nachweisen. Daher sollte der Wirkstoff bei dieser Patientengruppe nicht eingesetzt werden.
Mythos 4: Eine kombinierte Behandlung aus TNF-Antikörpern plus Azathioprin ist grundsätzlich wirksamer als eine Monotherapie mit TNF-Antikörpern.
Zwar basiert dieser Mythos auf Studienergebnissen, so der Experte. Allerdings seien in diesen ausschließlich Patienten eingeschlossen gewesen, die azathioprin- und biologikanaiv waren. Ein zusätzlicher Nutzen der Kombitherapie ist also bislang nur für die Initialtherapie bei therapienaiven Patienten nachgewiesen. In allen anderen klinischen Situationen sollte man eine kombinierte Behandlung zumindest kritisch hinterfragen.
Mythos 5: Eine Therapie mit TNF-Antikörpern sollte nach einer Pause nicht wieder neu gestartet werden.
Nach Absetzen der Behandlung mit TNF-Antikörpern kommt es Metaanalysen zufolge zwar zu Ein-Jahres-Rezidivraten von etwa 40 %. Führt man das Medikament allerdings wieder ein, werden Wirksamkeitsraten von 88 % (Morbus Crohn) bzw. 76 % (Colitis ulcerosa) erreicht. „Und anaphylaktische Reaktionen sind dabei extrem selten“, betonte Prof. Kucharzik. Eine Therapiepause mit anschließender Wiederaufnahme der Behandlung komme daher durchaus infrage. Allerdings lohne es, vor der Reinduktion von TNF-Antikörpern die Autoantikörper zu messen.
Mythos 6: Biosimilars bei CED wurden ausreichend getestet. Sie können daher bedenkenlos eingesetzt werden.
Biosimilars werden inzwischen großflächig eingesetzt. „Es gibt eigentlich nur zwei randomisierte Studien, die überhaupt Biosimilars bei CED-Patienten untersucht haben – und das betrifft nur das Infliximab-Biosimilar CT-P13“, gab der Kollege zu bedenken. Alle anderen Biosimilars wurden bisher bei CED nicht getestet. Das sollte man sich vor dem Einsatz der Präparate bewusst machen.
Mythos 7: Vedolizumab wirkt bei Morbus Crohn schlechter als bei Colitis ulcerosa.
In Real-Life-Kohorten aus verschiedenen Ländern war die Wirksamkeit von Vedolizumab bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa in etwa gleich. Vedolizumab kann daher bei beiden Erkrankungen als Option erwogen werden.
Mythos 8: TNF-Antikörper unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit bei CED nicht wesentlich voneinander.
Zwar existiert für die CED kein Head-to-Head-Vergleich der verfügbaren TNF-Antikörper. In Netzwerk-Metaanalysen zeigen sich aber zum Teil sehr deutliche Unterschiede bezüglich der Wirksamkeit der unterschiedlichen Präparate. „Sowohl was die Induktion der klinischen Response als auch der Remission angeht, ist Infliximab vorne – vor Adalimumab, vor Ustekinumab, vor Vedolizumab, vor Certolizumab.“
Mythos 9: Vedolizumab zeigt im Vergleich zu TNF-Antikörpern bei CED einen späteren Wirkungseintritt und eine geringere Wirksamkeit.
Vedolizumab ist bei mittelgradiger bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa wirksamer als Adalimumab. Der Unterschied zeige sich bereits nach einer relativ kurzen Zeit. Das sollte man bei der Therapieentscheidung berücksichtigen.
Mythos 10: Mit einer Proktokolektomie ist die Colitis ulcerosa geheilt.
Die Proktokolektomie ist ein Segen für viele Patienten, stellte der Kollege klar. Doch das Risiko für eine akute Pouchitis liegt zwei Jahre nach dem Eingriff bei 30 %, das Langzeitrisiko beträgt bis zu 60 %. Die damit einhergehenden Beschwerden schränken die Lebensqualität der Patienten zum Teil extrem ein, so Prof. Kucharzik. „Eine Heilung sieht für mich anders aus.“ Die Indikation zur Proktokolektomie sollte daher unter Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses in einem interdisziplinären Panel nach Ausschöpfung aller konservativer Optionen gestellt werden.
Kongressbericht: Norddeutscher Gastroenterologentag 2020
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