Videosprechstunde: Medizinisch sinnvoll – und betriebswirtschaftlich?

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Mithilfe der Videosprechstunde am Bildschirm Geld verdienen? Mithilfe der Videosprechstunde am Bildschirm Geld verdienen? © iStock/Mary Ne; Privat

Nach ihrer Einführung im April 2017 dümpelte die Videosprechstunde unter recht mageren Rahmenbedingungen vor sich hin. Heute boomt sie, die Coronapandemie trägt dazu bei. Die Leistung sollte sich aber für die Praxen lohnen.

Seit dem 4. Quartal 2019 berechtigt ein Videokontakt zur Abrechnung der hausärztlichen Versichertenpauschale. Vorher konnte nur die mit 9,27 Euro vergütete Nr. 01439 berechnet werden. Bei der am häufigsten in einer Videosprechstunde zu erwartenden Patientengruppe vom 19. bis zum 54. Lebensjahr ist die Versichertenpauschale nach Nr. 03003 mit 12,53 Euro bewertet. Unter Berücksichtigung des vorher auch schon berechnungsfähigen Zuschlags nach Nr. 01450 EBM (4,39 Euro) ist damit der Unterschied zum ursprünglichen Honorar nicht sehr groß.

Pauschalen reißen das Ruder noch ein bisschen rum

Eine etwas substanziellere Verbesserung tritt dadurch ein, dass die vorgesehenen Zuschläge von der KV automatisch zugesetzt werden. Dies sind die Vorhaltepauschale nach Nr. 03040 (15,16 Euro), ggf. die NäPa-Pauschalen nach den Nrn. 03060/03061 (3,74 Euro) sowie die bis zum 30. September 2021 befris­tete Anschubförderung nach Nr. 01451 (10,11 Euro).

Diese Leistungen ergeben in der Summe ein Honorar von 45,93 Euro für einen einzigen Kontakt im Quartal. Hier beginnen dann aber Unwägbarkeiten: Die Nr. 01450 ist auf 1899 Punkte (aktuell 208,65 Euro) budgetiert und die Nr. 01451 wird für den begrenzten Zeitraum zwar extrabudgetär, aber auch begrenzt auf 4620 Punkte (aktuell 514,20 Euro im Quartal) vergütet.

Eine weitere Stolperstelle: Finden bei einem Patienten die Arztkontakte im Quartal ausschließlich in einer Videosprechstunde statt, muss auf dem Behandlungsschein die Pseudoziffer 88220 angegeben werden. Diese hat zur Folge, dass ein Abschlag von 20 % auf die Nrn. 03000/04000 und auf die Zuschläge nach den Nrn. 03040/04040, 03060, 03061 erfolgt. Bei unserem Beispiel­patienten nach Nr. 03003 resultiert dann nur noch ein Honorar von 40,63 Euro. Und ab dem 01.10.2021 sogar nur noch eines von 29,53 Euro.

Mit diesem „Basis-Honorar“ ist rein betriebswirtschaftlich also noch kein Staat zu machen. Die Frage ist deshalb: Was geht im Einzelfall darüber hinaus? Kommt es zu einer Videosprechstunde mit einem positiv getesteten oder nach RKI-Kriterien der Infektion mit SARS-CoV-2 verdächtigen Patienten, kann die Pseudoziffer 88240 zugesetzt werden. An diesem Tag werden – zunächst auch wieder begrenzt auf das 2. Quartal 2020 – alle Leistungen im Rahmen einer Videosprechstunde extrabudgetär vergütet. Das Honorar wird zu 100 % ausgezahlt.

Danach greift aber wieder die Einschränkung, dass ggf. ein Abschlag von 20 % und zusätzlich die Begrenzung des Abrechnungsvolumens aus einer Videosprechstunde auf maximal 20 % einer berechneten Leis­tung bzw. aller Behandlungsfälle je Arzt und Quartal erfolgt.

Auch psychosomatische Intervention über Video

Man muss deshalb spätestens, wenn diese Regelungen wieder scharf geschaltet werden, darauf achten, dass wirklich alle Leistungen zur Abrechnung kommen, die bei der Videosprechstunde erbracht wurden. Neben der Versichertenpauschale und den Zuschlägen sind das noch eine ganze Reihe weiterer Positionen.

 

Diese Positionen können zusätzlich zur Videosprechstunde berechnet werden
EBM
Legende (Kurzform)
Euro
Bemerkungen
01444Zuschlag für die Authentifizierung „unbekannter“ Patienten1,10
  • einmal im Behandlungsfall
  • extrabudgetär befristet bis zum 30.09.2020
  • Als „unbekannt“ gilt ein Patient, der im laufenden Quartal und/oder Vorquartal nicht in der Praxis war.
01450Zuschlag Videosprechstunde (Technik- und Förderzuschlag)4,39
  • je Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen einer Videosprech­stunde oder Videofallkonferenz
  • Es gilt ein Punktzahlvolumen von 1.899 Punkten pro Arzt und Quartal.
03230problemorientiertes Gespräch14,06
  • Gesprächsdauer mindestens 10 Minuten
  • Budget von 64 Punkten/Fall
01442Videofallkonferenz mit an der Versorgung des Patienten beteiligten Pflegefachkräften9,45
  • höchstens 3-mal im Krankheitsfall
  • Nur wenn im Zeitraum des aktuellen Quartals und der beiden Vorquartale ein persönlicher APK stattgefunden hat.
35110verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen21,21Differenzialdiagnostische Klärung nach Nr. 35100 muss zuvor mit persönlichem APK erbracht worden sein.
30210Teilnahme an multidisziplinärer Fallkonferenz vor Überweisung von Patient mit diabetischem Fußsyndrom an hyperbare Sauerstofftherapie9,45 (9,45)
  • jeweils nur mit der Anerkennung „Diabetologie“ oder „Diabetologe Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)“
  • einmal im Krankheitsfall; im Einzelfall zweimal (schriftl. Begründung)
37400Zusatzpauschale Beteiligung an Beratung zur Versorgungsplanung letzte Lebensphase10,99Kann nur von einem an der Beratung beteiligten Arzt abgerechnet werden.

Kommt es zu einem problemorientierten ärztlichen Gespräch, das mindestens 10 Minuten dauert, kann die seit dem 1. April 2020 deutlich auf 14,06 Euro aufgewertete Leistung nach Nr. 03230 berechnet werden. Hier greift auch wieder ein internes Budget von 64 Punkten, ausgenommen bei Patienten mit der Kennziffer 88240. Auch eine verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen nach Nr. 35110 ist per Videokontakt – und neben der Ziffer 88240 sogar extrabudgetär vergütet – möglich.

Eine Honorarperspektive könnten ferner die verschiedenen Formen von Fallkonferenzen sein, die auch telefonisch oder in einer Videosprechstunde erbracht werden können. Aber auch hier gibt es schon wieder Einschränkungen. In Verbindung mit Fallkonferenzen nach den Nrn. 30210, 30706, 30948, 37120, 37320 und 37400 kann die Nr. 01450 nur vom initiierenden Arzt berechnet werden. Einigen dieser Fallkonferenzen liegen auch Qualifikations- oder vertragliche Voraussetzungen zugrunde.

 

Bei diesen Leistungen müssen Auflagen beachtet werden
EBM
Legende (Kurzform)
Euro
Bemerkungen
01442Videofallkonferenz mit an der Versorgung des Patienten beteiligten Pflegefachkräften9,45
  • höchstens 3 x im Krankheitsfall
  • Nur wenn im Zeitraum des aktuellen Quartals und der beiden Vorquartale ein persönlicher APK in der Praxis stattgefunden hat.
30210Teilnahme an multidisziplinärer ­Fallkonferenz vor Überweisung eines Patienten mit ­diabetischem Fußsyndrom zur hyperbaren Sauerstofftherapie9,45
  • jeweils nur mit der Anerkennung „Diabetologie“ oder „Diabetologe Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)“
  • einmal im Krankheitsfall; im Einzelfall auch zweimal (mit schriftlicher Begründung)
30706Schmerztherapie-Fallkonferenz9,45
  • für Hausärzte abrechenbar, wenn der primär schmerztherapeutische Arzt angegeben wird
  • im BHF nicht neben den Nrn. 03040, 03220, 03221, 04040, 04220, 04221, 37320 abrechenbar
30984Teilnahme an einer MRSA-Fall- und/oder ­regionalen Netzwerkkonferenz9,45KV-Genehmigung erforderlich
37400Zusatzpauschale Beteiligung an Beratung zur Versorgungsplanung letzte Lebensphase10,99Kann nur von einem an der Beratung beteiligten Arzt abgerechnet werden.

Fazit

Aus medizinisch-versorgungstechnischer Sicht stellt die Videosprechstunde im hausärztlichen Bereich sicher eine Perspektive für bestimmte Patientengruppen dar. Gerade in ländlichen Bereichen führt diese Möglichkeit der Behandlung immobiler Patienten zu einer Entlastung der Praxis. Und das gilt natürlich auch für Pandemiezeiten. Betriebswirtschaftlich gesehen ist der Einsatz hingegen weiterhin eine „Mogelpackung“, mit der vertragsärztliche Leistungen zu Dumpingpreisen eingekauft werden.