COVID-19: Warnungen vor ACE-Hemmern und AT1-Antagonisten scheinen hinfällig

Autor: Dr. Sascha Bock

Herzpatienten mit einer entsprechenden Medikation müssen sich besonders an die empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen halten. Herzpatienten mit einer entsprechenden Medikation müssen sich besonders an die empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen halten. © MACLEG – stock.adobe.com

Für Gegenargumente blieb keine Zeit, so schnell hatte sich die Nachricht verbreitet: Viele Mediziner zeigten sich beunruhigt darüber, dass RAAS-Inhibitoren das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe erhöhen könnten. Dabei steht inzwischen sogar ein protektiver Effekt entsprechender Präparate im Raum.

Die Hypothese, Hemmer des Renin-Angiotension-Aldosteron-Systems (RAAS) würden die Überlebenschancen von Coronainfizierten mindern, basiert auf einer Analyse aus China. Bei den untersuchten Patienten gingen Hypertonie, KHK, Diabetes und chronische Niereninsuffizienz häufiger mit einem schlechteren Outcome einher (intensiv-/beatmungspflichtig oder Tod). In der Regel gehören ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorantagonisten zum therapeutischen Repertoire bei diesen Erkrankungen.

Professor Dr. James H. Diaz vom Louisiana State University Health Sciences in New Orleans hält den Zusammenhang für plausibel.1 Schließlich nutzt das SARS-CoV-2-Virus ACE2 als Rezeptor. Das Enzym wird vor allem in den unteren Atemwegen exprimiert und entfaltet eigentlich kardioprotektive Effekte, indem es Angiotensin II abbaut. Tierstudien zufolge nehmen Expression und Aktivität von ACE2 zu, wenn man einen RAAS-Inhibitor appliziert. Prof. Diaz – und andere Forscher – befürchten folglich eine höhere Viruslast.

Der Kollege fordert: Herzpatienten, die ACE-Hemmer oder AT1-Blocker schlucken, müssen sich besonders an die empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen halten. Gleichwohl sollten die Präparate auf keinen Fall einfach abgesetzt werden. Auch das Team um Professor Dr. Gabriela M. Kuster vom Universitätsspital Basel warnt vor einem Therapiestopp und einem voreiligen Arzneiwechsel.2 Sofern eine Indikation besteht, gelte es, die Medikation beizubehalten bzw. neu anzusetzen – ungeachtet von SARS-CoV-2.

Zwar gibt es eine Studie mit Bluthochdruck-Patienten, die für eine gesteigerte ACE2-Produktion durch Olmesartan spricht. Bislang fehlen aber Belege für eine kausale Beziehung zwischen hoher Enzymaktivität und hoher „Corona-Mortalität“, betonen die Experten. Vielmehr zeichnet sich ein gegenläufige Entwicklung ab. So könnte die primäre RAAS-Aktivierung und nicht dessen Hemmung kardiovaskulär Erkrankte anfälliger für schwere Verläufe machen.

Bereits 2005 reagierten Versuchstiere auf eine Infektion mit dem SARS-Coronavirus mit einer Herunterregulation von ACE2. Die Mäuse entwickelten gravierende Lungenschäden, die durch die Gabe eines AT1-Antagonisten abgeschwächt werden konnten. So wundert es nicht, dass einige Forscher darin sogar potenzielle neue Therapieoptionen gegen COVID-19 sehen. Eine Pilotstudie, in der Betroffene humanes rekombinantes ACE2 erhalten sollten, wurde Mitte März aber zurückgezogen. Zwei andere Untersuchungen mit Losartan bei RAAS-Hemmer-naiven Patienten stehen dafür kurz vor der Rekrutierung.

Quellen:
1. Pressemitteilung des Louisiana State University Health Sciences Center
2. Kuster GM et al. Eur Heart J 2020; DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa235