Palliative Medizin: Wichtige Eckdaten zu Hospizen, Palliativstationen und Pflegeheimen

Autor: Dr. Elisabeth Nolde

Mehr als eine halbe Million Menschen 
müsste jährlich in Deutschland durch 
palliative Angebote erreicht werden. Mehr als eine halbe Million Menschen 
müsste jährlich in Deutschland durch 
palliative Angebote erreicht werden. © iStock/KatarzynaBialasiewicz

Zunehmende Hinfälligkeit, Sterben und Tod: Die Versorgung schwer kranker und sterbender Menschen wird oft tabuisiert oder von reinem Wunschdenken beherrscht. Um die Qualität in diesem Versorgungsbereich zu verbessern bzw. einer Stagnation entgegenzuwirken, erscheinen weitere Anstrengungen erforderlich – und die Kenntnis wichtiger Daten und Fakten.

Die letzte Lebensphase ist häufig von Multimorbidität und Siechtum gekennzeichnet. Laut WHO benötigen 60 % der Sterbenden in Industrienationen ein palliatives Angebot bzw. eine palliative Begleitung. In Anbetracht der Sterberate müsste nach diesen Berechnungen jährlich mehr als eine halbe Million Sterbende in Deutschland durch solche Angebote erreicht werden. Expertenschätzungen zufolge wünschen sich rund 75 % der Menschen, zu Hause oder im Hospiz zu sterben. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier offenbar weit auseinander.

Sowohl ambulante als auch stationäre Versorgungslücke

Allein der Blick auf verfügbare Eckdaten zur Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland birgt Diskussionsstoff. Demnach ist jährlich von etwa 25 000 Sterbebegleitungen in Hospizen auszugehen. Diese stationäre palliative Betreuung erfolgte im Jahr 2015 beispielsweise in 236 Hospizen, die rund 2390 Betten bereitstellten, so Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Auf 304 Palliativstationen mit 2507 Betten gab es im gleichen Jahr etwa 17 500 Sterbebegleitungen und genauso viele Entlassungen. Auch Zahlen zur allgemeinen ambulanten Palliativversorgung, AAPV, und zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, SAPV, lassen sich abschätzen (2015/2016): So erfolgten etwa 231 000 AAPV-Ersterhebungen (GOP 03370). Auffällig war hierbei ein Rückgang um 40 000 Ersterhebungen von 2014 bis 2016. Außerdem übernahmen 314 SAPV-Teams rund 49 000 Erstverordnungen. Bemerkenswert erscheint zudem die ehrenamtliche Hospizarbeit: Über 37 000 Ehrenamtliche übernahmen etwa 47 500 Sterbebegleitungen im Rahmen von 894 ambulanten Hospizdiensten (2015). Wobei auch hier die Datenlage als unvollständig einzustufen ist. Außerdem lässt sich nicht ausschließen, dass Sterbende in Statistiken mehrfach auftauchen, wenn mehrere Leistungen bezogen werden, so der Experte. Doch klar sei, dass ambulant und stationär eine deutliche Versorgungslücke bestehe – was sich besonders in Pflegeheimen zeige.

60 % der Pflegeheimbewohner sterben binnen eines Jahres

Laut Angaben der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen aus dem Jahr 2016 lebten etwa 827 000 Menschen in Pflegeheimen. Rund 340 000 Pflegeheimbewohner sterben jährlich, so Expertenschätzungen. Vor dem Hintergrund, dass 60 % der Sterbenden einen palliativen Bedarf haben, würden grob geschätzt etwa 200 000 dieser Personen pro Jahr eine palliative Begleitung benötigen. Beachtenswert erscheinen in diesem Zusammenhang verfügbare, allerdings schon etwas zurückliegende Daten aus den Jahren 2009 bzw. 2008. Demnach starben etwa 30 % der Pflegeheimbewohner innerhalb der ersten drei Monate und rund 60 % binnen eines Jahres nach Aufnahme in das Heim. Letztlich wurden Pflegeheime in den vergangenen 30 Jahren immer mehr zu Sterbeorten, kommentierte Brysch. Dabei muss die Frage gestellt werden, ob die Einrichtungen tatsächlich auch darauf vorbereitet sind.

Sterbeort: Traum versus Realität

Rund 75 % der Menschen möchten zu Hause oder im Hospiz sterben. Doch tatsächlich zeigt sich ein anderes Bild: Nur wenige sterben an ihrem Wunschort. Allein im Krankenhaus versterben etwa 46 %. Zu anderen Sterbeorten sind Experten zufolge bislang keine aussagekräftigen Statistiken verfügbar – obwohl die Erhebung und Veröffentlichung derartiger Daten immer wieder gefordert werden. Schätzungen zufolge sterben 3 % der Menschen im Hospiz und im Pflegeheim rund 31 %. Beachtenswert erscheint dabei, dass Hospize in der öffentlichen Wahrnehmung stark repräsentiert sind, große Wertschätzung und Förderung erfahren. Wohingegen Pflegeheime auch mit negativen Assoziationen, etwa Respektlosigkeit gegenüber Heimbewohnern oder Demütigungen, verknüpft sein können.

Viel Geld für Patienten im Hospiz, wenig fürs Pflegeheim

Grundsätzlich ist die Sterbebegleitung von gesetzgeberischer Seite als Teil des Versorgungsauftrages der Pflegeheime vorgesehen – ohne zusätzliche Leistungsansprüche. Wobei Kooperationsverträge mit Ärzten gefördert werden. Doch trotz neuer Rahmenvereinbarungen können Pflegeheimbewohner nur mit großem Aufwand in ein stationäres Hospiz wechseln, erläuterte Brysch. Generell gibt es zwar einen Konsens für eine „Hospizkultur“ in Pflegeheimen. Doch die Versorgungsplanung für Menschen am Lebensende, auch „Advanced Care Planning“ genannt, lässt offenbar viel Raum für Diskussionen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass von gesetzgeberischer Seite (Pflegestärkungsgesetze) das Leitmotiv „ambulant vor stationär“ gilt. So wurden beispielsweise statio­näre Leistungsbeiträge abgesenkt, bei Pflegegrad 2 etwa ein Minus von 296 € und bei Pflegegrad 3 ein Minus von 68 €. Letztlich können sich viele Menschen mit niedrigem Pflegegrad das Pflegeheim gar nicht mehr leisten, so der Experte. Damit bleibt auch unklar, wie eine ausgewogene Bewohnerstruktur in Pflegeheimen aufrechterhalten werden kann. Geht diese Struktur verloren, werden Pflegeeinrichtungen zur Endstation für Schwerstpflegefälle – auch mit dem Risiko, dass das Personal Tag für Tag nur mit sehr kritischen Situationen zu tun hat. Vor diesem Hintergrund darf ein Blick auf die Finanzierung nicht fehlen: Die Ausgaben der Sozialkassen für einen sterbenden Menschen im Hospiz liegen bei 8300 € pro Monat (SGB V). Für ein Pflegeheim beträgt diese monatliche Ausgabe lediglich 2005 € (SGB XI, bei PG 5) – ein Viertel der Summe. Im Klartext lautet deshalb die Frage, was dies für einen sterbenden Patienten bedeuten kann, der nicht in ein Hospiz kommt, sondern in ein Pflegeheim – aber die gleichen Nöte und Krisen durchlebt. Eine entsprechende Gleichstellung sterbender Menschen in Pflegeheimen ist dem Experten zufolge bei der Hospiz- und Palliativversorgung überfällig.