Welches Cannabis-Präparat für Ihren Patienten das passende ist

Autor: Dr. Sascha Bock

Cannabis-Präparate sind durchaus wirksam bei Schmerzen. Doch wie genau muss dosiert und worauf muss geachtet werden? Cannabis-Präparate sind durchaus wirksam bei Schmerzen. Doch wie genau muss dosiert und worauf muss geachtet werden? © fotolia/Aleksandr

Backofen auf 140 °C vorheizen und Cannabisblüten auf der mittleren Schiene ca. zehn Minuten erwärmen – auch solche Anweisungen gehören mitunter aufs Rezept. Damit Sie sich beim Verordnen nicht die Finger verbrennen, bringt Sie ein Experte in Sachen Arzneimittel auf den aktuellen Stand.

Getrocknete Cannabisblüten, Extrakte in standardisierter Qualität sowie Medikamente mit den Wirkstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) bzw. Dronabinol, Cannabidiol (CBD), Nabilon und Nabiximols dürfen seit gut einem Jahr zulasten der GKV verordnet werden. Unabhängig von Lieferengpässen und Hürden beim Rezeptieren ergeben sich im Alltag ganz praktische Fragen: Mit welcher Dosierung geht‘s los? Gibt es Kontraindikationen? Und wie verhält es sich mit der Fahrtauglichkeit? Privatdozent Dr. Michael A. Überall, Privates Institut für Neurowissenschaften, Nürnberg, hat die Antworten.

Rein damit

Cannabisextrakte zur Rezeptur gibt es als ölige Tropfenlösungen, Kapseln sowie alkoholische Inhalationskonzentrate. Fertigarzneimittel umfassen ein transmukosales Mundspray und Kapseln. Die Blüten können inhalieret oder nach Extraktion oral aufgenommen werden (z.B. als Tee, Gebäck). Wer anstatt „richtig“ zu rauchen einen Verdampfer nutzt, atmet keine schädigenden verbrannten Pflanzenteile ein. Die Kosten für den Vaporisator übernehmen jedoch nur wenige Kassen.

Für Cannabis-naive Patienten bietet sich zunächst ein Therapieversuch mit Nabiximols (als Spray) oder mit der seit Oktober 2017 verfügbaren 10%igen THC/CBD-Tropflösung an. Bleibt ein zufriedenstellender Effekt bei gleichzeitiger guter Verträglichkeit aus, erfolgt am besten die Umstellung auf THC/Dronabinol-Rezepturen. Getrocknete Blüten sind quasi die Ultima Ratio.

Blühende Aussichten

14 Blütensorten mit unterschiedlichem THC- und CBD-Gehalt stehen in Deutschland in standardisierter Qualität zur Verfügung. Die Verschreibung erfordert konkrete Angaben zu Blütensorte und Menge (in Gramm), zur Rezepturvorschrift und zur Dosierung. 

Besondere ärztliche Pflichten

  • Datenübermittlungspflicht: Das BfArM führt bei Verordnung/Kostenübernahme von Cannabis eine anonymisierte Begleiterhebung durch. Ein Jahr nach Therapiebeginn (bzw. Behandlungsende bei kürzerem Einsatz) müssen Ärzte unter www.begleiterhebung.de einen ensprechenden Bogen ausfüllen.
  • Aufklärungspflicht: Neben der üblichen Aufklärung erfordert die Behandlung zusätzliche Infos zur Anwendung, kindersicheren Lagerung, Verkehrstauglichkeit, Datenübermittlungspflicht sowie zu spezifischen Neben-/Wechselwirkungen.
  • BtM-Pflicht: Cannabishaltige Arzneimittel außer Cannabidiol (laut Gesetz kein BtM) müssen Sie auf einem BtM-Rezept verordnen.

Anleitung beugt Problemen in der Apotheke vor In Einzellfällen können Sie auch unzerkleinerte Blüten rezeptieren. Um Probleme bei der Herstellung in der Apotheke zu vermeiden, empfiehlt Dr. Überall, die Gebrauchsanweisung direkt auf dem BtM-Rezept zu vermerken. Diese könnte sich z.B. so lesen: „Bitte das Cannabispulver wie folgt herstellen:
  • 15 g Blüten auf ein mit Alufolie bedecktes Backblech legen und das Ganze im vorgeheizten Ofen bei 140 °C ca. zehn Minuten erhitzen.
  • Danach abkühlen lassen und mit einer Kräutermühle zerbröseln.
  • 0,5 g abtrennen und über den Tag verteilt in etwa drei gleich großen Portionen einnehmen (z.B. in einen Joghurt rühren).“

„Start low, go slow“

Niedrig anfangen und langsam aufdosieren lautet die Devise (s. Tabelle). Denn die meisten unerwünschten Effekte zeigen sich zu Behandlungsbeginn. Das vollsynthetische Nabilon etwa wirkt achtmal so stark wie THC, weshalb anfangs Symptome einer Überdosierung auftreten können. Die übrige Pharmakotherapie des Patienten sollte man zumindest in der Einstellungsphase konstant halten. Nach der Inhalation kommt es binnen weniger Minuten zu kurz anhaltenden sehr hohen Konzentrationen in Blut und Nervensystem. Anders bei oraler oder transmukosaler Aufnahme: Hier breitet sich der Wirkstoff über Stunden aus und erreicht deutlich niedrigere Spitzenwerte im Körper. Je nach Darreichungsform hält die Wirkung vier bis zwölf Stunden. Die Präparate können und sollten laut dem Experten sinnvoll mit anderen Medikamenten (z.B. Opio­iden) kombiniert werden, um einen synergistischen Effekt zu erzielen.
Dosierungsempfehlungen
ArzneimittelStartdosisTagesdosisVerschreibungshöchstmengen
Cannabisblüten0,05-0,1 gbis 3 g100 g in 30 Tagen unabhängig vom tatsächlichen Cannabinoidgehalt der Blütensorte
Dronabinol/THC1,7-2,5 mgbis 30 mg500 mg in 30 Tagen
Nabilon1 mgbis 6 mgbisher nicht festgelegt
Cannabidiol2,0-2,5 mgbis 24 mgnicht dem BtM-Recht unterstellt
Nabiximols1 Sprühstoß (=2,7 mg THC/2,5 mg CBD)bis 12 Sprühstöße (=32,4 mg THC/30 mg CBD)1 g (bezogen auf den THC-Gehalt) in 30 Tagen

Cannabis für alle – theoretisch

Eine erste Auswertung von GKV-Daten zeigte, dass fast 70 % der Anträge auf Kostenübernahme die Indikation „Schmerz (inkl. Spastik bei MS)“ betrafen. Weitere 15 % führten Inappetenz und Kachexie als Grund auf. Im Prinzip dürfen Sie cannabishaltige Arzneimittel für jede Indikation verordnen (No-Label-Use), sofern mit einem realistischen Erfolg zu rechnen ist. Akzeptable wissenschaftliche Erkenntnisse liegen bislang einzig für die begleitende Behandlung von Spastiken, Übelkeit/Erbrechen durch Zytostatika und chronische (neuropathische) Schmerzen vor. Rezept für Kinder erfahrenen Kollegen überlassen Bei Schwangeren, Stillenden, Kindern und Jugendlichen rät Dr. Überall, Cannabis nur mit entsprechender ärztlicher Expertise zu rezeptieren oder ganz darauf zu verzichten. Das Gleiche gilt für folgende Grunderkrankungen: schwere Persönlichkeitsstörung, Psychose, Depression bzw. bipolare Störung, Bluthochdruck, schwere Herz-Kreislauf-Krankheit.

Mal was riskieren?

Patienten sprechen individuell sehr unterschiedlich auf die Therapie an. Neben der eigentlichen Beschwerdelinderung wissen Konsumenten auch andere Cannabiseffekte wie Heiterkeit, entspanntes Gefühl und Kommunikationsbedürfnis zu schätzen. Der gemeinhin guten Verträglichkeit stehen jedoch eine Vielzahl an meist temporären unerwünschten Wirkungen wie Schwindel, Kreislaufkollaps, Mundtrockenheit, Übelkeit oder Orientierungsstörungen gegenüber. Diese können bei begleitender Einnahme von Sedativa oder Alkohol noch zunehmen. Auf entsprechende Medikamente oder Getränke sollten Patienten also besser ganz verzichten. Zudem gefährdert die Behandlung auch grundsätzlich Psyche, Atemwege, kardiovaskuläres System, Stoffwechsel und Immunsystem.

Gute Fahrt

Die akute Rauschphase von inhalativem Cannabis dauert etwa zwei bis vier Stunden und kollidiert mit der Verkehrstüchtigkeit. Oral eingenommene Präparate weisen diesbezüglich ein sichereres Profil auf. Die unklare Rechtslage hinsichtlich der medizinischen Anwendung erschwert konkrete Ver- und Gebote. In jedem Fall sollten Anwender zunächst ein Gefühl für (Neben-)Wirkungen entwickeln und sich in den ersten zwei bis vier Wochen (Einstellungsphase) nicht ans Steuer setzen. Ärztliche Bescheinigung maximal 30 Tage gültig Eine stabile Therapie mit konstanter Dosis und zufriedenstellendem Effekt lässt sich zwar gut mit dem Fah­ren vereinbaren. Allerdings handelt es sich immer um eine individuelle Entscheidung, bei der die Selbstbeurteilung der Patienten besonders ins Gewicht fällt, schreibt Dr. Überall. Im Auto empfiehlt es sich, immer eine zusätzliche Ausfertigung des BtM-Rezeptes oder eine Bescheinigung des Arztes parat zu haben, um Sanktionen bei Verkehrskontrollen vorzubeugen.

Über die Grenze damit

Bei Fernreisen gelten im Schengen-Raum die gleichen Regeln wie für sonstige medizinisch indizierte BtM. Betroffene müssen eine von der jeweiligen obersten Landesgesundheitsbehörde beglaubigte ärztliche Bescheinigung mit sich führen (max. 30 Tage gültig). Außerhalb des Schengen-Raumes greifen die nationalen Bestimmungen des Ziel- bzw. Transitlandes. Vor allem ein Besuch des Nahen und Fernen Ostens kann Probleme bereiten und ist aufgrund der Regularien nicht immer sinnvoll und möglich, so der Autor.

Quelle: Überall MA. Schmerzmedizin 2018; 34: 24-35