Bei rheumatoider Arthritis gleich mit Biologika einsteigen?

DGIM 2021 Dr. Sonja Kempinski

Bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis kommt es weniger auf den richtigen Wirkstoff an, sondern vielmehr auf den zeitnahen Therapiestart an sich. Bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis kommt es weniger auf den richtigen Wirkstoff an, sondern vielmehr auf den zeitnahen Therapiestart an sich. © iStock/RapidEye

Je früher man eine rheumatoide Arthritis in den Griff bekommt, desto besser. Sollte man deshalb lieber direkt zu Biologika greifen? Argumente gibt es dafür und dagegen, wie zwei Experten betonen.

Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), die sich in Remission befinden, haben die geringste radiologische Progression und damit die wenigsten funktionellen Einbußen. Mit dem Therapieziel Remission darf man sich aber aufgrund des natürlichen Verlaufs der RA keine Zeit lassen, betonte Professor Dr. Andrea Ruppert-Roth vom Kantonsspital St. Gallen. Im ersten Krankheitsjahr schreiten die Erosionen an den betroffenen Gelenken am schnellsten voran.

Je stärker die radiologische Progression, desto höher das Risiko für irreversible Gelenkschäden: So waren in einer Studie bei einem HAQ < 2,5 noch sämtliche radiologisch nachweisbaren Gelenkschäden reversibel. Lag der HAQ zwischen 9,5 und 22,0, erwiesen sich bereits knapp 10 % der Gelenkschäden als irreversibel, überschritt der HAQ den Wert von 22,9 sogar 25,6 %.

Die Devise lautet folglich: Frühzeitig und effektiv therapieren. Doch womit? Die Leitlinien empfehlen den Therapieeinstieg mit Glukokortikoiden und Methotrexat (MTX), bei Kontraindikationen Leflunomid oder Sulfasalazin. Erst wenn diese Maßnahmen keinen Erfolg zeigen, kommen in der nächsten Phase weitere Basistherapeutika oder Biologika (bDMARD) bzw. tsDMARD wie JAK-Inhibitoren dazu.

Biologika in der Frühphase besonders wirkungsvoll

Dabei wären Biologika auch schon in der Frühphase einer RA sehr wirkungsvoll, wie der Vergleich der Ergebnisse zweier großer Studien zeigt. Bei 0,6 Jahren vorangegangener Krankheitsdauer erreichten etwas mehr als 30 % der RA-Patienten nach einjähriger Infliximab-Therapie ein ACR-70-Ansprechen (ASPIRE). Waren die Betroffenen vor Infliximab schon zehn Jahre lang erkrankt, schafften dies nur etwa 10 % (ATTRACT). Ähnliches gilt für tsDMARD wie Tofacitinib oder Baricitinib. Sie sind im frühen Krankheitsverlauf ebenfalls effektiver, wie Prof. Ruppert-Roth anhand mehrerer Studien demonstrierte.

Gegen den Einsatz von bDMARD und tsDMARD führen Gesundheitsökonomen oft die hohen Kosten an. Prof. Rubbert-Roth lässt das nicht gelten. Sie argumentierte mit den Daten einer aktuellen Untersuchung: Direkte und indirekte Kosten (Medikamente, Reha-Maßnahmen, Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung) betrugen bei einem HAQ von 0,5 bis 1,0 unter 15 000 Euro/Jahr, bei 2,0 bis 2,5 etwa 35 000 Euro und bei einem HAQ bis 2,5 über 40 000 Euro jährlich. Auch unter ökonomischen Aspekten ist eine frühe Remission und der Erhalt der Gelenkstrukturen sinnvoll, bekräftigte die Expertin und plädierte für einen frühen Einsatz der Biologika.

Der in Hamburg niedergelassene Rheumatologe Dr. Peer Aries sieht die Sache etwas anders: Es müssen nicht immer gleich Biologika sein, hielt er dagegen. Er präsentierte die Daten einer Phase-4-Studie, in der sich die Effekte einer konventionellen Behandlung (MTX plus Prednisolon oder MTX plus Sulfasalazin, Hydroxychloroquin und intraartikulären Steroiden) von therapienaiven Patienten mit früher RA im Verlauf von 24 Wochen kaum von einer Therapie mit MTX plus Biologikum oder JAK-Inhibitor (Certolizumab pegol, Abatacept, Tocilizumab) unterschieden. Für ihn ist MTX aus der First-Line-Therapie der RA als am besten untersuchte und gut verträgliche Substanz nicht mehr wegzudenken.

Auch wenn eine bereits erfolgte Therapie mit MTX allein kein ausreichendes Ansprechen gezeigt hat: In einer älteren Studie war die daraufhin eingeleitete Tripletherapie nach ähnlichem Schema (MTX plus Sulfasalazin plus HCQ) der Therapie mit Etanercept plus MTX nicht unterlegen. Die Leitlinien empfehlen seiner Meinung zu Recht MTX plus konventionelle DMARD für Patienten, die nach zwölf Wochen kein Ansprechen zeigen bzw. nach 24 Wochen das Therapieziel verfehlen, jedoch eine gute Prognose haben. Bei hoher Krankheitsaktivität oder ungünstiger Prognose ist dagegen die Kombination MTX plus bDMARD oder tsDMARD Therapie der Wahl.

Geringer Vorteil rechtfertigt Kosten nicht

Für ein solches Vorgehen sprechen auch die Kosten. Eine Studie aus 2017 konnte zeigen, dass beim Vergleich der Strategien Bio­logika first vs. Tripeltherapie first die Effekte auf die Lebensqualität der RA-Patienten nur minimal voneinander abwichen. Hochgerechnet auf die Lebenszeit unterschieden sich die auflaufenden Kosten jedoch erheblich und betrugen bei der Biologika-first-Strategie etwa 77 290 US-Dollar zusätzlich.

Ob bei diesen enormen Kosten­unterschieden die geringen Vorteile in puncto Lebensqualität den unmittelbaren Einsatz von Biologika rechtfertigen bezweifelt Dr. Aries. Für ihn ist die Gabe deshalb nicht immer zu empfehlen. Viel wichtiger als der Wirkstoff sei, therapeutisch so früh wie möglich zu starten. Die Zeit bleibe der entscheidendere Faktor. So lasse sich durch Diagnose und Therapie innerhalb der ersten drei Monate nach Beschwerdebeginn die radiologische Progression deutlich besser aufhalten als bei einem späteren Eingreifen. Als weiteren Aspekt nennt er, zeitgemäße Therapieziele zu setzen und sich auch nicht mit weniger als dem gesteckten Ziel (z.B. dem Remissionserhalt) zufriedenzugeben. Dazu gehören regelmäßige Kontrollen, um frühzeitig auf eine Verstärkung der Krankheitsaktivität zu reagieren.

Bei Risikopatienten Biologikum oder JAK-Inhibitor

Natürlich gibt es Patienten, die Bio­logika benötigen, fügt Dr. Aries hinzu. Er stimmt mit seiner Kollegin überein, dass die Therapie individuell an Patienten und Prognose angepasst werden muss. Bei Anzeichen einer ungünstigen Prognose (hohe CRP-Werte, hoher Rheumafaktor- und/oder anti-CCP-Status, ausgeprägtem Erosionsscore) sollte der Griff zu Biologika oder JAK-Inhibitoren keinesfalls unterbleiben.

Quelle: 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin*

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Bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis kommt es weniger auf den richtigen Wirkstoff an, sondern vielmehr auf den zeitnahen Therapiestart an sich. Bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis kommt es weniger auf den richtigen Wirkstoff an, sondern vielmehr auf den zeitnahen Therapiestart an sich. © iStock/RapidEye