Diabetes: Psychosoziale Belastungen stehen dem Therapieerfolg oft entgegen

Christine Vetter/Dr. Sascha Bock

Die lebenslange Erkrankung kann schnell überfordern und sogar in einer Depression enden. Die lebenslange Erkrankung kann schnell überfordern und sogar in einer Depression enden. © fotolia/AlexanderNovikov

Rund jeder zweite chronisch Kranke hört nicht oder nur eingeschränkt auf seinen Arzt. Diabetiker bilden da keine Ausnahme. Die Gründe für die fehlende Adhärenz sind vielschichtig und auch bei bester Motivationsarbeit nicht immer zu beheben.

Nach einem Jahr nehmen 38 % der Patienten die ihnen verordneten Antidiabetika nicht mehr regelmäßig ein, sagte Professor Dr. Frank Petrak, Ruhr Universität Bochum. Bei einzelnen Medikamentengruppen ist die Non-Adhärenz sogar noch ausgeprägter: Ein Jahr nach der Verordnung halten sich 66 % der Patienten unter einem GLP1-Rezeptoragonisten und 73 % der Typ-2-Diabetiker unter Insulintherapie nicht wie vereinbart an die Medikation.

Bei der körperlichen Aktivität ist die Situation noch schwieriger: „Selbst bei optimaler Motivation und mittels eines Schrittzählers schaffen es sogar unter Studienbedingungen die wenigsten Patienten, ihre körperliche Aktivität dauerhaft zu steigern“, erklärte der Psychologe. Im Einzelfall ist dabei der Frage nachzugehen, warum es dem Betroffenen nicht möglich ist, therapietreu zu sein. Laut Prof. Petrak können Informations- und Kompetenzdefizite, abweichende Patientenziele, ein sekundärer Krankheitsgewinn durch den Diabetes, aber auch eine gewisse Verleugnung sowie Komorbiditäten von Depressionen über Angststörungen und eine mögliche Substanzabhängigkeit bis hin zur Demenz die Ursache sein.

Unabhängig von den Ursachen der Non-Adhärenz ist es als Arzt kaum möglich, Patienten nachhaltig zur regelmäßigen Medikamenteneinnahme oder gar zu einer Lebensstiländerung zu motivieren. „Der Diabetes ist eine lebenslange Erkrankung. Eine nachhaltige Verhaltensänderung braucht deshalb eine intrinsische Motivation“, betonte der Psychologe. Mit anderen Worten: Es ist bestenfalls möglich, den Patienten darin zu unterstützen, sich selbst zu motivieren.

Hält sich der Patient nicht an den Therapieplan, so ist das kein Grund, verärgert auf den „Unmotivierten“ zu reagieren. Denn tatsächlich demonstriert der Betroffene auch so Kooperation. „Er zeigt, dass die vereinbarten Ziele für ihn nicht tragfähig waren“, so der Experte. Das eröffnet neue Chancen auf eine partizipative Entscheidungsfindung, „ohne den Patienten zu kritisieren oder zu entmündigen“.

Alles versuchen, um die Gründe herauszufinden

Davon abgesehen ist es das Recht, sich einer Therapie zu entziehen: „Eine klare, informierte und eigenverantwortliche Entscheidung gegen einen Behandlungsvorschlag belässt die Verantwortung dort, wo sie hingehört, nämlich beim Patienten.“ Dazu gehört es auch, als Arzt zu akzeptieren, dass der Betroffene nicht therapieadhärent sein muss.

Andererseits muss selbstverständlich alles versucht werden, die Gründe der Non-Adhärenz zu eruieren. Oft verbirgt sich dahinter ein Burnout, der möglicherweise sogar durch die Belastungen infolge der Erkrankung und deren Behandlung bedingt ist. So kann sich ein Gefühl des Ausgelaugtseins bezüglich der eigenen psychischen und körperlichen Reserven breitmachen und eine emotionale Erschöpfung bedingen.

Mit dem resultierenden Energiemangel verbunden sind nach Professor Dr. Norbert Hermanns, Forschungsinstitut an der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM), oft weitere Symptome wie Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und die Unfähigkeit zu entspannen. Die Betroffenen klagen häufig über Schlafstörungen und entwickeln weitere Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, Kopf- und Rückenschmerzen sowie eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte.

Auf einen sich manifestierenden Burnout weist ein idealisiertes Verhältnis zur Arbeit hin, das jedoch zunehmend von Frustrationen geprägt ist. Es kommt zur Distanzierung, zum Zynismus und schließlich oft sogar zur Depersonalisierung mit immer mehr Schwierigkeiten, sich mit den Anforderungen der Diabetesbehandlung auseinanderzusetzen.

Es sollte nicht unterschätzt werden, dass der alltägliche Umgang mit der Erkrankung bei manchen in Schwierigkeiten und sogar in eine Überforderung mündet, wodurch die Behandlungsmotivation nachhaltig beeinträchtigt wird. So wird z.B. das Nicht-Erreichen des Therapieziels von vielen Patienten als Misserfolg und somit als zusätzliche emotionale Belas­tung erlebt. Ängste vor Folgekomplikationen können hinzukommen und das Stresserleben verstärken.

Die Alarmsignale (s. Kasten) sollten ernst genommen werden und dem Patienten müssen Hilfestellungen angeboten werden. Gelingt das nicht, drohen zusätzlich Depressionen, die ihrerseits als Verstärker der diabetesspezifischen Belastungen fungieren können – ein Teufelskreis, aus dem der Patient im Wesentlichen nur durch eine gute Schulung herausgeführt werden kann. „Wir müssen dem Patienten helfen, sich aus dem Würgegriff des Diabetes zu befreien“, so Prof. Hermanns.

Alarmsignale für Probleme des Patienten

  • erhebliche Sorgen hinsichtlich potenzieller Folgeerkrankungen
  • Angst vor Hypoglykämien
  • Probleme mit dem Diabetes im Beruf und/oder im Alltag
  • eine Überforderung, immer wieder komplexe Entscheidungen zu treffen und den sich immer wieder ändernden Regeln in der Diabetestherapie gerecht zu werden
  • Schwierigkeiten, auch in kritischen Situationen mit dem Diabetes gut umzugehen
  • Probleme mit dem Essen

Jeder zehnte Typ-1-Diabetiker gilt als hoch belastet

Diese Problematik ist größer als oft angenommen: Immerhin geben 20–30 % der Patienten in der diabetologischen Schwerpunktpraxis an, durch ihre Krankheit belastet zu sein, 10 % der Typ-1-Diabetiker gelten sogar als hoch belastet, berichtete Dr. Rainer Paust, Elisabeth-Krankenhaus Essen. Die Probleme verschärfen sich in kritischen Lebenssituationen, die jedoch ebenfalls durch den Diabetes geprägt sein können. Als Beispiel nannte der Psychologe die Entwicklung schlecht heilender Wunden, eine psychische Erschöpfung, eine durch den Diabetes bedingte zeitweilige Immobilität und/oder das Gefühl, bei der Behandlung keine Fortschritte zu machen.

Quelle: Kongressbericht, 33. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie e.V. der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Die lebenslange Erkrankung kann schnell überfordern und sogar in einer Depression enden. Die lebenslange Erkrankung kann schnell überfordern und sogar in einer Depression enden. © fotolia/AlexanderNovikov