Diabetestherapie: So bewahren Sie Senioren vor Unterzucker und anderen Komplikationen

Manuela­ Arand

Die Art der Medikation hängt auch von der körperlichen Verfassung und den feinmotorischen Fähigkeiten des Patienten ab. Die Art der Medikation hängt auch von der körperlichen Verfassung und den feinmotorischen Fähigkeiten des Patienten ab. © fotolia/Denys

Der Altersdiabetes ist bekanntlich abgeschafft. Das ändert jedoch nichts daran, dass Diabetiker immer älter werden. Was es bei der Behandlung zu bedenken gibt, steht in einer neuen Leitlinie. Doch die Gesellschaften sind sich nicht in allen Punkten einig.

Sich über die Behandlungsziele klar zu werden, ist bei Betagten oft schwierig, wie Alexander­ Friedl­, Geriatrisches Zentrum Stuttgart, verdeutlichte. Natürlich gilt es, Akutkomplikationen wie Hypoglyk­ämien zu vermeiden und geriatrische Probleme anzugehen, sich also nicht nur auf den Zucker zu konzentrieren. Zur Diskussion steht, ob überhaupt ein Zielbereich für den HbA1c sinnvoll ist. Zumal Anämien häufig vorkommen, was zu falsch hohen Messwerten führt. Auf der anderen Seite haben viele eine Lebenserwartung, die es wünschenswert macht, Folgeschäden abzuwenden.

Die Ziele in der Leitlinie orientieren sich am Funktionsstatus des Patienten (s. Kasten). Für funktionell Unabhängige liegt der Korridor wie für Jüngere zwischen 6,5–7,5 %, für leicht Abhängige unter 8,0 % und für stark Abhängige unter 8,5 %. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) widerspricht allerdings: Sie sieht den Korridor für Senioren in gutem Zustand zwischen 7,0–8,5 %, und bei allen anderen Symptomfreiheit als Ziel.

Schluss mit Go-Go, Slow-Go und No-Go

Die flapsigen, von vielen als stigmatisierend empfundenen Bezeichnungen, mit denen die alte Leitlinie Senioren nach ihren Alltagsfähigkeiten klassifiziert hat, löst die neue Version ab mit den Kategorien: funktionell unabhängig, leicht bzw. stark abhängig. Zur ersten Gruppe gehören körperlich und geistig weitgehend Unbeeinträchtigte, zur zweiten Personen die Hilfsmittel benötigen und zur letzen Ältere, die auf Fremdhilfe angewiesen oder bettlägerig sind.

Metformin gilt noch immer als erste Wahl, zumal es mittlerweile bis zu einer GFR von 30 ml/min zugelassen ist. Dennoch ist Vorsicht geboten, wenn eine akute Verschlechterung der Nierenfunktion droht (z.B. Vollnarkose, Bildgebung mit Kontrastmittel). Zu Beginn sollte man Metformin langsam aufdosieren, um gastrointestinale Probleme zu vermeiden. Cave: Eine bestehende Kachexie kann sich verstärken.

Unter SGLT-2-Inhibitoren die Nierenfunktion kontrollieren

Sulfonylharnstoffe hält die Leitlinie wegen des hohen Hypoglykämie­risikos für ungeeignet. Die DEGAM setzt sich gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zwar per Sondervotum für Glibenclamid ein, aber die übrigen Fachgesellschaften weisen darauf hin, dass die Substanz das Hyporisiko steigern kann. Für sie kommen Sulfonylharnstoffe nur infrage, wenn Metformin kontraindiziert ist oder versagt. Für DPP*-4-Hemmer sehen die Experten einige Vorteile, wie die geringe Gefahr von Hypoglykämien oder Akkumulation, die niedrige Nebenwirkungsrate und die einfachen Einnahmeregimes mit nur einer Tablette am Tag. Eine ausgeprägte Niereninsuffizienz erfordert eine niedrigere Dosis, jedoch ist Sitagliptin selbst bei Dialysepflicht einsetzbar. DEGAM und DGP gaben ein „seltsames Sondervotum“ ab, berichtete Friedl: Sie plädieren gegen Gliptine, es sei denn, eine Insulintherapie kann abgewendet werden. Sie begründen dies u.a. mit der relativ schwachen Blutzuckersenkung, was eine unerwünschte Polypharmazie fördern könne. Bei den übrigen Antidiabetika besteht weitgehend Einigkeit. SGLT**-2-Inhibitoren werden solange die Nieren einigermaßen funktionieren empfohlen, weil sie den Blutzucker effektiv reduzieren. Außerdem senken sie kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität und wirken nephroprotektiv (zum Zeitpunkt der Leitlinienerstellung galt dies nur für Empagliflozin). Wichtig: Nierenfunktion kontrollieren und Nebenwirkungen behandeln, vor allem Genitalmykosen. GLP-1-Analoga können „in Einzelfällen“ zum Einsatz kommen, so die Leitlinie. Als Vorteile nennt sie geringes Hyporisiko und Gewichtsabnahme. Friedl wies jedoch darauf hin, dass gerade in der Geriatrie ein Gewichtsverlust oft unerwünscht ist. Manche GLP-1-Analoga müssen nur einmal pro Woche injiziert werden.

Ein hoher HbA1c schützt nicht vor Hypos unter Insulin

Die Bedeutung von Acarbose und Glitazonen schätzen die Autoren als gering ein. Insulin kann eingesetzt werden, wenn orale Antidiabetika nicht möglich sind oder um die Polypharmazie zu reduzieren. Prinzipiell sind alle Formen möglich – welche zum Zuge kommt, entscheidet sich anhand der kognitiven und feinmotorischen Fähigkeiten des Patienten, seiner sozialen Umgebung und des Therapieziels. Privatdozent Dr. Andrej­ Zeyfang­ von der Medius Klinik Ostfildern-Ruit wies darauf hin, dass Insulin zusammen mit Warfarin den häufigsten Grund medikamenteninduzierter Noteinweisungen darstellt und dass bereits eine schwere Hypoglykämie das Sterberisiko deutlich steigert. Ein hoher HbA1c schützt nicht vor Hypos unter Insulin!

* Dipeptidylpeptidase
** Sodium dependent glucose transporter

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Die Art der Medikation hängt auch von der körperlichen Verfassung und den feinmotorischen Fähigkeiten des Patienten ab. Die Art der Medikation hängt auch von der körperlichen Verfassung und den feinmotorischen Fähigkeiten des Patienten ab. © fotolia/Denys