Schließt der Corona-Schutzschirm für Arztpraxen Kurzarbeitergeld wirklich aus?
Am 22. April klingelte die Bundesagentur für Arbeit (BA) bei einigen Steuerberatern durch. Kommuniziert werden sollte die interne Weisung, dass eine Zahlung des Kurzarbeitergeldes (KuG) für Leistungserbringer im Gesundheitssystem nicht möglich sei. Alle dahingehenden Anträge wolle man rückwirkend zum 1. März 2020 ablehnen und bereits gezahlte Gelder zurückverlangen.
Erklärt wurde die Weisung damit, dass Vertragsärzte und Krankenhäuser zwar Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben können. Seit Inkrafttreten des am 27. März 2020 beschlossenen „Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen“ hätten sie aber bei einem Honorarausfall von mehr als 10 % vor allen Dingen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Und die gingen vor.
Stimmt: Für den ambulanten Bereich sieht das Gesetz vor, dass die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) sozusagen komplett ausgezahlt wird, unabhängig davon, wie viele Leistungen angesetzt werden. Voraussetzung für eine Ausgleichszahlung an die einzelne Praxis ist eine Fallzahlminderung, die die Fortführung der Praxis gefährdet.
Außerdem kann ein Anspruch auf Ausgleich für extrabudgetäre Leistungen wie Früherkennungsuntersuchungen und ambulante Operationen entstehen, wenn der Gesamtumsatz (extrabudgetäre Vergütung und MGV) um mindestens 10 % gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken ist und die Fallzahl zurückgegangen sind. Mit diesen Zahlungen würde der Arbeitsausfall aufgrund der Coronakrise ausgeglichen, so die BA, und zwar ähnlich wie es eine Betriebsausfallversicherung tun würde. Und das heißt: kein KuG.
Wirkt Schutzschirm wirklich wie Ausfallversicherung?
Aber so einfach ist es nicht. Denn Nicht-GKV-Tätigkeiten werden von dem Gesetz nicht berücksichtigt. Keine IGeL, keine Privatpatienten, keine D-Arzt-Leistungen. Deswegen meldete dann die KBV: Sollte eine Praxis aufgrund ausbleibender Privatpatienten existenzbedrohende Umsatzeinbußen erleiden, komme Kurzarbeit sehr wohl in Betracht. Der antragstellende Arzt müsse das dem Arbeitsamt deutlich machen. Ob eine Zahlung erfolge, liege allerdings in der Entscheidung der Behörde.
Und ein paar Tage später (am 29. April) bittet der KBV-Vorstand Bundesarbeitsminister Hubertus Heil persönlich um Klarstellung, dass die Frage des Anspruchs immer Ergebnis einer Einzelfallprüfung sein müsse. „Für die Mehrheit der vertragsärztlichen Praxen treffe die Annahme einer rein vertragsärztlichen Tätigkeit nicht zu“, heißt es in dem Brief.
Dirk R. Hartmann, Medizinrechtler aus Wiesbaden, betrachtet die Sache noch in einem anderen Licht. „Ich sehe nicht, dass sich nur aus der Formulierung im Gesetz bereits der Anspruch auf die Ausfallzahlung besteht – schön wär‘s.“ Erst wenn die KV diese Ausfallleistungen auch konkret bewilligen würde, entstünde die Situation, wie sie im Gesetz beschrieben ist. Da diese Bewilligung aber erst in Monaten geschehen kann, nämlich wenn die endgültigen Abrechnungen erfolgen, könne eine Praxis bis dahin sehr wohl KuG beantragen und auch erhalten.
Auch Susanne Müller vom Bundesverband MVZ unterstreicht, dass der Schutzschirm kollektive Sicherheit biete, aber keine Aussagen für einzelne Praxen zulasse. Und schon gar nicht würde er einen individuellen Anspruch zusprechen. Die Grundlage, auf der die pauschale BA-Anweisung erstellt wurde, sei deshalb schlichtweg falsch.
Von Bereicherung und Betrug sollte hier nicht die Rede sein
Wenn also eine Praxis Kurzarbeit beantragt hat und dann der Schutzschirm greift? Dann müsse der Antragstellende den „Doppelbezug“ melden, so Rechtsanwalt Hartmann. Eine Betrugs- oder auch nur Bereicherungsabsicht könne man ihm sicher nicht unterstellen. Zwar könne die BA Strafantrag wegen Betrug und Subventionsbetrug stellen, wenn die Voraussetzungen für das KuG nicht gegeben waren. Das sei auch ernst zu nehmen, denn die Pflicht, sich vorab zu erkundigen und während der Zeit des Bezuges die Bedingungen zu prüfen, liege beim Arbeitgeber. Bereits Leichtfertigkeit komme hier zum Tragen. Fakt sei aber auch, dass der Arzt zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht wisse, ob die KV ihm Ausgleichzahlungen gewähren werde und in welcher Höhe.
Bleibt die Frage, warum sich mancher Politiker bemüßigt fühlte, gänzlich undifferenziert die Moralkeule zu schwingen. Ein Doppelbezug von Ausfallhonoraren ist sicher zu verhindern. Aber davon zu sprechen, dass sich Krankenhäuser und Praxen über die Krise und auf Kosten des Steuerzahlers gesundstoßen? Den Leistungsträgern im Gesundheitswesen, die im guten Glauben auf das Konzept Kurzarbeit zurückgegriffen haben, in den Rücken zu fallen, ist wenig produktiv. Selbst, wenn es schwarze Schafe unter den Antragsstellern gibt.
Andere Unterstützungsmaßnahmen nicht angerechnet
958 Facharztpraxen haben alleine im März für 9269 Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet, so die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage von Medical Tribune, außerdem 110 Allgemeinmediziner für 745 Beschäftigte. Insgesamt wurde von 11 715 Unternehmen des Gesundheitswesens für 92 796 Beschäftigte Kurzarbeitsanzeige erstattet, darunter auch 4012 Zahnarztpraxen für 30 963 Beschäftigte. Wie viele davon das Kurzarbeitergeld letztlich aber wirklich in Anspruch nehmen müssen, wisse man erst in ein paar Monaten.
Viele Anträge werden auch von Heilmittelerbringern gestellt. Auch für sie gibt es eine Art Schutzschirm: Sie sollen 40 % ihrer Vergütung aus dem vierten Quartal 2019 als Einmalzuschuss erhalten, informierte das Bundesgesundheitsministerium am 11. April. Und Zahnärzte erhalten 30 % der Differenz zwischen angenommener Gesamtvergütung für das laufende Jahr und tatsächlich erbrachter Leistung. Andere Unterstützungsmaßnahmen wie Soforthilfen für Selbstständige und das Kurzarbeitergeld würden aber auf diese Boni nicht angerechnet, so die eindeutige Aussage des Ministeriums.
Medical-Tribune-Recherche
aktualisiert am 07.05.2020