Entschädigung, Kurzarbeit, Aufstockung – mit diesen Begriffen muss der Arzt nun umgehen können
Kann ein Praxisinhaber, der Kontakt zu einem erkrankten Patienten hatte, auf der Grundlage einer Krankschreibung und ärztlicher Empfehlung zur Quarantäne eine Entschädigung für Umsatzverluste erwarten?
Entschädigungsansprüche hat ein Praxisinhaber, wenn die zuständige Behörde, in der Regel das Gesundheitsamt, ein Tätigkeitsverbot für den Praxisinhaber oder einen Angestellten ausspricht. Der Ersatzanspruch ergibt sich dann nach § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ein Ersatzanspruch besteht dagegen nicht, wenn die gesamte Praxis wegen einer potenziellen Infektionsgefährdung präventiv schließt. Besteht ein Ersatzanspruch aufgrund eines Tätigkeitsverbots, bemisst sich dieser nach dem Verdienstausfall, bei Selbstständigen also nach ihrem Gewinn.
Keine Entschädigung wird dagegen gezahlt, wenn der Praxisinhaber arbeitsunfähig erkrankt ist. Denn in diesem Fall sind seine Ansprüche gegen die Krankenkassen vorrangig gegenüber seinen Ansprüchen auf Entschädigung. Bei Entschädigungsanträgen ist daher immer eine Bescheinigung der Krankenkassen vorzulegen, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorlag.
Im vorliegenden Fall muss der Arzt also auf seine Betriebsausfallversicherung oder seine Krankentagegeldversicherung setzen, um seinen Ausfall finanziell auszugleichen.
Eine schwangere Praxismitarbeiterin ohne Vorerkrankungen hat Angst vor einer Ansteckung mit COVID-19 und möchte daher ein Beschäftigungsverbot. Kann bzw. soll ihr Arzt das erteilen?
Beschäftigungsverbote für Schwangere können nach § 16 Mutterschutzgesetz (MuSchG) ausgesprochen werden, wenn die Gesundheit der werdenden Mutter oder die ihres Kindes bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist. Dies ist eine Frage, die vor allem nach medizinischen Gesichtspunkten zu klären ist.
Aus juristischer Sicht wäre zu bedenken, dass die Gefährdung für eine schwangere Mitarbeiterin grundsätzlich erst mal nicht größer ist als für jeden anderen an einer Supermarktkasse beschäftigten Mitarbeitenden auch. Eine besondere Gefährdungslage lässt sich hier nicht erkennen. Letztlich bleibt das aber einer medizinischen Beurteilung vorbehalten.
Wenn in einer Praxis nicht ausreichend Schutzmasken zur Verfügung stehen, muss der Praxisinhaber dann die Praxis schließen? Könnte er sonst wegen Verletzung seiner Fürsorgepflicht haftbar gemacht werden?
Grundsätzlich treffen jeden Arbeitgeber arbeitsrechtliche Schutzpflichten. Dazu gehört insbesondere die Pflicht zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer vor einer Ansteckung durch andere erkrankte Beschäftigte oder Dritte, mit denen er im Rahmen seiner Tätigkeit Kontakt aufnehmen muss, schützen. Praktische Maßnahmen sind die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln und verstärktes Hinwirken auf die Einhaltung der Hygienestandards, ggf. auch Plexiglas-Scheiben im Empfangsbereich.
Eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers kommt allerdings nur infrage, wenn der Arbeitgeber seine Schutz- und Informationspflichten extrem verletzt hat. Wobei die Fürsorgepflicht auch nur besteht, soweit die Natur der Dienstleistung es gestattet (§ 618 Abs. 1 BGB).
Wer aber in einer Arztpraxis arbeitet, läuft zwangsläufig Gefahr, mit infektiösen Patienten in Kontakt zu kommen. Einen absolut gefahrlosen Betrieb gibt es hier also nicht. Die Mitarbeitenden müssen daher Gefahren hinnehmen, die nach dem Stand der Technik nicht abgemildert werden können.
Wobei Schutzmasken und Schutzausrüstung entsprechend der einschlägigen behördlichen Empfehlungen eben genau hierzu zu zählen sind. Kann der Arbeitgeber aufgrund von Lieferengpässen keine angemessene Schutzkleidung zur Verfügung stellen, muss er sein Personal über die entsprechenden Risiken aufklären. Erklären sich die Mitarbeiter auf dieser Grundlage zur Weiterarbeit bereit, sollte sich der Praxisinhaber bestätigen lassen, dass er seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist und dass die Mitarbeiter in Kenntnis der Risikolage weiterarbeiten.
Ist in einer Praxis ab 1. April Kurzarbeit geplant und angezeigt, innerhalb des gleichen Monats aber auch ein Betriebsurlaub, kann dieser verschoben werden?
Ob ein geplanter Betriebsurlaub über die Ostertage in diesem Fall genommen werden kann oder durch die angemeldete Kurzarbeit suspendiert wird, ist umstritten.
Vertreten wird teilweise, dass zuvor bereits geplanter Urlaub oder Betriebsurlaub noch genommen werden kann. Das hätte zur Folge, dass während der Urlaubszeit 100 % des Arbeitsentgelts gewährt wird.
Für den Fall, dass eine sogenannte Kurzarbeit „Null“ – also ein vollständiges Ruhen der Arbeitsverpflichtung – vereinbart wird, hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, der Urlaub würde in diesem Fall suspendiert und durch Kurzarbeit ersetzt (BAG, Urteil v. 16. Dezember 2008 – 9 AZR 164/08). Folge wäre, dass der Urlaub nicht wie geplant in der Osterzeit verbraucht würde, sondern die Mitarbeitenden in diesem Zeitraum in Kurzarbeit wären. Das würde heißen: Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt 60 % bzw. 67 % (bei erhöhtem Leistungssatz bzw. Eltern mit Kindern) des letzten Nettoentgelts.
Kurzarbeit wird vom Gesetzgeber als letztes Mittel zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen angesehen. Aus diesem Grund muss der Arbeitgeber alle Maßnahmen zur Vermeidung des Arbeitsausfalls ergreifen. Hierzu gehört also in der Regel auch die vorherige Gewährung von Urlaub und der Abbau von Überstunden (§ 96 Abs. 4 Nr. 2 und 3 SGB III). Seit einer ab dem 20.03.2020 geltenden Gesetzesänderung wird allerdings nicht mehr wie bislang der Aufbau negativer Arbeitszeitsalden gefordert.
Darf bei Bezug von Kurzarbeitergeld das Gehalt einzelner Mitarbeitender unterschiedlich aufgestockt werden?
Diese Frage ist nach Maßgabe des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu beurteilen. Gibt es einen sachlichen Grund für die beabsichtigte Ungleichbehandlung durch eine selektive Aufstockung des Kurzarbeitergelds, ist ein solches Vorgehen grundsätzlich zulässig. Dies wäre – wie auch sonst meist – im Einzelfall zu prüfen.
Ein Grund könnte im aktuellen Zusammenhang etwa in den unterschiedlich risikobehafteten Arbeitsplätzen in der Praxis liegen. Ein ständiger direkter Patientenkontakt könnte somit eine höhere Aufstockung der reduzierten Bezüge rechtfertigen als z.B. ein Telefondienst in einem abgeschlossenen Raum oder gar vom Homeoffice aus.
Viele Praxen können bei Zurückstellung aller nicht dringlich erforderlichen Behandlungen kaum überleben. Sind für solche Fälle Entschädigungen vorgesehen oder muss auf Kurzarbeit zurückgegriffen werden?
Ohne behördliches Tätigkeitsverbot gibt es keine Ansprüche nach Infektionsschutzgesetz. Wenn die Praxis aufgrund der Fürsorgepflicht des Arztes oder aufgrund einer behördlichen Anordnung geschlossen wird, ohne dass zugleich ein individuelles behördliches Tätigkeitsverbot gemäß § 31 IfSG ausgesprochen wurde, läuft der Entgeltanspruch der Arbeitnehmer weiter. Denn ist das Risiko der behördlichen Maßnahme im Betrieb durch dessen besondere Art angelegt, trägt der Arbeitgeber das Betriebs- und Entgeltfortzahlungsrisiko bei behördlichen Betriebsschließungen.
Nun gehört es zur Natur der Sache, dass in Arztpraxen mit infektiösen Erkrankungen umgegangen werden muss. Das Betriebsrisiko dürfte also beim Arbeitgeber liegen. Aktuell sind jedoch verschiedene Maßnahmen in Planung bzw. bereits umgesetzt, die Praxen mit Umsatzeinbußen das Überleben sichern sollen. Dazu gehören z.B. spezielle Kredite wie insbesondere KFW-Kredite, modifizierte Zugangsmöglichkeiten zu Kurzarbeitergeld und der angekündigte Schutzschirm für Praxen.
Wurde für eine Praxis Kurzarbeit angemeldet, muss sie dann trotzdem die 25 Stunden Praxisöffnungszeiten aufrechterhalten?
Das Konzept der Kurzarbeit bezieht sich auf angestellte Praxismitarbeiter, nicht aber auf den Praxisinhaber und Arbeitgeber. Deswegen unterliegt auch in Zeiten von Kurzarbeit der Praxisinhaber weiterhin den Vorgaben aus § 19a Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV, wonach jeder Arzt verpflichtet ist, im Rahmen seiner vollzeitigen vertragsärztlichen Tätigkeit mindestens 25 Stunden wöchentlich in Form von Sprechstunden für die gesetzlich Versicherten zur Verfügung zu stehen.
Für die Erstellung von Gutachten müssen Patienten oft einbestellt werden oder in Einrichtungen besucht werden. Wenn Ärzte zum aktuellen Zeitpunkt Gutachten, die den direkten Kontakt nötig machen, verschieben möchten, um ihre Patienten nicht in eine risikobehaftete Situation zu bringen – wie verhält sich das juristisch?
Da bei der Erstellung von Begutachtungen keine dringliche Behandlungspflicht besteht – denn es handelt sich letztlich um Aufträge von Krankenversicherungen und anderen Kostenträgern –, liegt in der Regel keine Pflicht zur Durchführung der Erstellung solcher Gutachten vor. Ob eine persönliche Begutachtung von Patienten unter Einhaltung der Hygienestandards vielleicht aber trotzdem zu verantworten ist, ist medizinisch zu beurteilen.
Medical-Tribune-Recherche