Wann ist eine Praxis zu groß?
Es ist zwar nur ein erstinstanzliches Urteil. Doch es lässt aufhorchen. Die Beschäftigung eines Arztes in Weiterbildung (AiW) darf vom ausbildenden Arzt nicht zur Vergrößerung seiner Kassenpraxis oder zur Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs genutzt werden. „Ein derartiger Missbrauch von Weiterbildungsassistenten als billige Arbeitskräfte berechtigt die KV zu Honorarkürzungen“, schreibt das Sozialgericht Berlin.
Allerdings könne die Kassenärztliche Vereinigung nicht automatisch von einem unzulässigen Praxisumfang ausgehen, sobald die Zahl der Patienten das Doppelte des Fachgruppendurchschnitts beträgt. Erst ab 250 % liege ein übergroßer Umfang vor, der eine Honorarkürzung rechtfertige – wobei die KV zusätzlich beweisen müsse, dass dieser „tatsächlich auf dem missbräuchlichen Einsatz von Assistenten“ beruhe.
60 weitere Kürzungsfälle sind beim Sozialgericht anhängig
Geklagt hatte eine seit 2007 in Berlin tätige Allgemeinärztin. Seit 2012 beschäftigte sie eine Weiterbildungsassistentin. Für die Quartale IV/2012 und I/2013 kürzte die KV ihr Honorar um insgesamt 32 000 Euro, weil die Fallzahlen doppelt so groß wie der Durchschnitt waren. Bei einer so großen Zahl von Patienten habe die Ärztin nicht mehr ausreichend Zeit, ihre Assistentin ordnungsgemäß anzuleiten und zu überwachen, meint die KV. Die Ärztin hielt dagegen, die Größe ihrer Praxis sei auch durch externe Faktoren beeinflusst worden.
Die 83. Kammer des Sozialgerichts gab der Klägerin recht. Sie verurteilte die KV zur Nachzahlung des Honorars. Begründung: Die Gruppe der Hausärzte in Berlin sei nicht homogen. Der Durchschnitt der Fallzahlen bilde nicht den Leistungsumfang einer voll ausgelasteten Hausarztpraxis ab. Wolle man – wie die KV – einen festen Grenzwert für das Vorliegen eines übergroßen Praxisumfangs ansetzen, so liege dieser erst bei 250 %.
Wie viel Zeit einem Vertragsarzt tatsächlich für die Weiterbildung bleibe, hänge u.a. auch von den (unterschiedlichen) Therapieverfahren ab. Die KV trage die Beweislast dafür, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der Beschäftigung des AiW und dem übergroßen Praxisumfang bestehe. Im konkreten Fall sei die Ärztin schon vor der Einstellung der ÄiW in der Lage gewesen, eine – laut KV – übergroße Praxis zu führen.
Die KV kündigte an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Weil es von früheren Entscheidungen (SG Berlin 2013 und 2016) abweiche, benötige man Rechtsklarheit. Ob mit Vertragsarztpraxen, die ÄiW beschäftigen, anders verfahren werden sollte, lasse sich erst nach dem Berufungsverfahren abschätzen.
Beim Sozialgericht Berlin sind rund 60 weitere Fälle wegen Honorarkürzungen aufgrund der Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten anhängig.
SG Berlin, Urteil vom 13.9.2017, Az.: S 83 KA 423/14