Was es beim DIY Closed Loop in der Praxis zu beachten gibt

Autor: Antje Thiel

„Closed loop – open mind!“ Die Looper wünschen sich weniger Skepsis. „Closed loop – open mind!“ Die Looper wünschen sich weniger Skepsis. © iStock/Branimir76

Die Zahl der „Looper“ wächst von Tag zu Tag. Entsprechend begegnen auch immer mehr Diabetespraxen einzelnen Patienten, die ihr CGM-System und ihre Insulinpumpe anders nutzen als von den Herstellern vorgesehen. Als das Thema „DIY Closed Loop“ vor einigen Jahren auch ins Bewusstsein der Ärzteschaft vordrang, überwogen noch Ablehnung und Skepsis. Die Hauptsorge galt neben medizinischen Risiken den (bis heute) ungeklärten Haftungsfragen.

Doch mittlerweile wandelt sich die Stimmung. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen hat sich die Looper-Bewegung in den vergangenen Jahren durch Misstrauen und Warnungen nicht einschüchtern lassen, sondern immer weiter an Zulauf gewonnen. Tagungspräsident Dr. Nikolaus Scheper formulierte es so: „Mich beeindruckt, mit welcher Hartnäckigkeit, welchem Ehrgeiz und Stolz die Community diese Pionierarbeit leistet.“ Zum anderen lässt sich kaum von der Hand weisen, dass erfahrene Looper gute Therapieergebnisse erzielen – in Bezug auf das Glukosemanagement ebenso wie auf ihre Lebensqualität.

Ein typisches Beispiel hierfür ist der 40-jährige IT-Sicherheitsingenieur Timm Korte, der seit 35 Jahren mit Typ-1-Diabetes lebt und seinen Weg zum DIY Closed Loop schilderte. Im Jahr 2014 erlitt er einem Krampfanfall infolge einer schweren nächtlichen Hypoglykämie, seine Frau musste den Notarzt rufen. Daraufhin stieg Korte auf ein CGM-System um. Nun wurde er bei stark steigenden oder sinkenden Glukosewerten zwar gewarnt, doch die wiederkehrenden Alarme zerrten an seinen Nerven.

Die rechtliche Einschätzung ist nicht trivial

„Nachdem unsere Tochter geboren war, gab es dann einen weiteren nächtlichen Störenfried. Meiner Frau und mir war klar, dass eine Alarmquelle wegmusste – und da wir das Baby behalten wollten, begann ich mich mit dem APS zu beschäftigen“, erzählte Korte. Seit 2017 nutzt er nun seinen DIY Closed Loop. Seine Glukosewerte liegen mittlerweile zu über 80 % im Zielbereich (80–180 mg/dL) und zu weniger als 1 % darunter.

Fakten zum DIY Closed Loop

Die Looper-Community ist eine Do-it-yourself-Bewegung, daraus erklärt sich auch die Bezeichnung „DIY Closed Loop“. Insulinpumpe und CGM-System werden dabei nicht technisch verändert, sondern durch ein Steuerungsmodul und einen von der Community selbstprogrammierten Algorithmus via Smartphone-App miteinander verbunden. Der Loop passt anhand der CGM-Daten eigenständig die Insulinzufuhr durch die Insulinpumpe an, um den Glukosewert konstant in einem definierten Zielbereich zu halten. In der Community sind drei Varianten im Umlauf: LOOP (für Apple-Nutzer), OpenAPS (Linux-basiert) und AndroidAPS (für Android-Nutzer). Die Looper-Community tauscht sich vorwiegend online in den sozialen Medien aus (#WeAreNotWaiting), mittlerweile gibt es aber in vielen größeren Städten auch Looper-Stammtische, bei denen sich die Szene trifft.

Doch die rechtliche Einschätzung ist nicht trivial, wie der Medizinrechtler Dr. Alexander Dorn erläuterte. „Die Nutzung geschlossener Systeme ist nicht verboten, also ist das Loopen erst einmal grundsätzlich erlaubt. Es gibt hierzu bislang aber keine Gerichtsurteile.“ Man könne derzeit auch nicht seriös prognostizieren, wie die Justizorgane in entsprechenden Verfahren urteilen würden.

Interessierte müssen sich intensiv einarbeiten

Als einzige Rechtsquelle existiere bis dato ein 23-seitiges Gutachten zweier Rechtsanwälte, die 2018 im Auftrag der DDG überprüft haben, welche medizin-, straf- und zivilrechtlichen Vorgaben beim (ärztlichen) Umgang mit Loopern zu beachten sind. „Dieses Gutachten fasst die aktuelle unsichere Rechtslage in meinen Augen ziemlich gut zusammen“, meinte Dr. Dorn. Ärztinnen und Ärzte fühlen sich dem Patientenwohl verpflichtet, doch das Patientenwohl steht in den geltenden Normen ganz offenbar nicht im Fokus“, sagte der Anwalt. Das ist auch für Ulrike Thurm, die als Diabetesberaterin über den Umgang mit Loopern sprach, das Kernproblem: „Beim Loopen dreht sich doch alles um das Patientenwohl!“ Wenn Patienten Interesse am DIY Closed Loop bekunden, dürften Dia­betesberaterinnen und -berater ihnen zwar nicht erklären, wie man den Loop konkret baut. „Doch wir können ihnen sehr wohl sagen, wo sie die entsprechenden Informationen dazu finden.“ Die meisten Interessierten wissen, dass sie beim Loopen selbst intensiv aktiv werden müssen und sind hochmotiviert, mit dem Loop ihr Diabetesmanagement zu verbessern. Schulungen von Loopern sind Thurm zufolge unkritisch. Denn sobald jemand seinen DIY Closed Loop in Betrieb genommen habe, unterschieden sich seine Bedürfnisse nicht von denen anderer Insulinpumpen- und CGM-Nutzer. „Auch Looper müssen die Analyse von Glukosedaten, individuelle Insulinanpassungen beherrschen und Basiswissen z.B. zu Wechselintervallen beim Verbrauchsmaterial haben.“ Looper bräuchten also keine Spezialbehandlung, sondern ganz reguläre Pumpen- und CGM-Schulungen, „und das ist völlig legal und auch notwendig“, sagte Thurm. Ähnlich äußerte sich Dr. Scheper: „Es gibt keinen Grund, einem Looper beispielsweise kein Insulin mehr aufzuschreiben. Es ist die freie Entscheidung unserer Patientinnen und Patienten, zu loopen, und wir sollten sie dabei begleiten. Wir können sogar eine Menge von ihnen lernen!“ Offenbar treffen allerdings noch nicht alle Looper in ihren Diabetespraxen auf aufgeschlossene Ärzte, wie Thurm einwandte: „In Looper-Foren wird oft sehr emotional diskutiert, ob und wann man seinem Diabetologen das Loopen beichten sollte. Sie können sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie angstbesetzt so ein Geständnis für viele ist. Immerhin ist der Diabetologe eine Vertrauensperson, der man gern zeigen möchte, wie man seine Therapie verändert und auch verbessert hat.“

Gestaltung neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen

Auch Korte wünschte sich Offenheit von den Diabetologen: „Ganz im Sinne unserer Community: closed loop, open mind!“ Ein Zuhörer aus dem Plenum sprang ihm bei und meinte: „Überall wird die Digitalisierung der Diabetestherapie gefordert. Hier treiben nun Patienten etwas voran und brauchen dabei die Unterstützung der DDG!“ Diese Unterstützung will die Fachgesellschaft den Loopern keinesfalls verweigern, wie Professor Dr. Dirk Müller-Wieland betonte: „Mit ihrem Gutachten hat sich die DDG positioniert. Doch wir haben natürlich den Wunsch, Menschen zu helfen, ihre Therapieziele und eine gute Lebensqualität zu erreichen.“

Kernaussagen des DDG-Gutachtens

  • Der Eigengebrauch eines selbst zusammengebauten geschlossenen Systems ist weder strafbar noch ordnungswidrig.
  • Die zweckfremde Nutzung führt ggf. zum Ausschluss von Haftungsansprüchen gegenüber dem jeweiligen Hersteller.
  • Die Herstellung eines geschlossenen Systems ohne CE-Kennzeichnung zum Vertrieb an andere verstößt gegen das Medizinproduktegesetz (MPG) und ist strafbar.
  • Wer das geschlossene System zusammenbaut und weiterveräußert, ist nach dem Produkthaftungsgesetz verantwortlich.
  • Praxen sollten ihren Patienten keine Schulungen zum Closed Loop anbieten, da eine Schulung als Anwendung bzw. Betreiben eines zweckentfremdeten Medizinprodukts und mithin als strafbare Handlung eingestuft werden könnte.
  • Aus straf- und haftungsrechtlicher Sicht sollten Ärzte Loopern keine Plattform zum Austausch über Erfahrungen im Umgang mit selbstgebauten geschlossenen Systemen bieten.
  • Verstöße gegen das MPG oder die Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) können zu zivilrechtlicher Haftung oder strafrechtlicher Verantwortlichkeit führen.
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Trotz des derzeitigen juristischen Graubereichs warb Dr. Dorn um mehr Vertrauen in die Gerichtsbarkeit: „Das Recht will Leben regeln, nicht hemmen. Es kann auch flexibel reagieren. Man sollte die Haftungsrisiken kennen, sich aber nicht ausschließlich von ihnen leiten lassen.“ Anstatt auf erste Gerichtsurteile zu warten, solle man allerdings lieber eine gesetzliche Regelung anstreben: „Wir haben ja einen Gesundheitsminister, der sehr gern Gesetze verabschiedet. Der ist für die Gestaltung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen sicher ein besserer Ansprechpartner als die Bundes- oder Landesärztekammern, die meist doch eher den Status quo wahren wollen.“

Kongressbericht: Diabetes Herbsttagung 2019