Sturzprävention bei Senioren – körperliche Verfassung überprüfen, Medikamente geben
Rund 30 % der selbstständig lebenden über 65-Jährigen berichten über mindestens ein Sturzereignis pro Jahr. Die Abklärung möglicher Risikofaktoren für Stürze ist zeitintensiv, kann aber auf mehrere Termine verteilt werden, schreiben der Geriater Dr. David A. Ganz von der University of Carlifornia, Los Angeles, und Nancy K. Latham vom Brigham and Women's Hospital in Boston.
Die Sturzgefahr mit langfristigem Training senken
Erster Punkt im multifaktoriellen Assessment sind Auffälligkeiten im Gangbild sowie in Balancefähigkeit und Kraft. Eine langsame Gehgeschwindigkeit, Schlurfen, Schwanken, notwendige Gehhilfen sowie Schwierigkeiten im Rombergtest, Semitandem- oder Tandemstand gelten zusammen mit Problemen beim Aufstehen als klassische Risikofaktoren.
Gegengesteuert wird evidenzbasiert mit angepasstem körperlichem Training – möglichst langfristig über mindestens zwölf Wochen angelegt. Bewährt haben sich Programme mit Übungen für zu Hause oder in Gruppen, bei denen Beinkraftstärkung und Balancetraining im Vordergrund stehen.
Es kann helfen, Übungen für zu Hause zunächst unter Anleitung einzustudieren, um die Eignung zu testen. Wichtig: Die körperliche Betätigung sollte dem Patienten Spaß machen und sich in den Alltag integrieren lassen. Bereits einfache Übungen, wie mit ausgestreckten Armen von einem Stuhl aufstehen und wieder setzen, stärken die Oberschenkelmuskulatur, der (unterstützte) Einbeinstand schult die Koordination in wackeligen Situationen.
Auch Tai-Chi einmal wöchentlich reduziert die Sturzrate bei Älteren. Gehen bzw. Walking als alleinige Maßnahme hat Studien zufolge allerdings keinen direkten Einfluss auf die Sturzhäufigkeit, berichten die Geriater. Zudem sollten Senioren mit Gleichgewichtsstörungen Übungen, die (ausschließlich) auf strammem Gehen/Walken basieren, vermeiden.
Ein Medikamentencheck steht ebenfalls ganz oben auf der Agenda. Zentral wirksame Mittel, wie Antidepressiva, Antipsychotika, Opioide oder Benzodiazepine, aber auch manche frei verkäuflichen Schlafmittel beeinträchtigen über ihre sedativen Effekte und verstärken sich u.a. in Kombination mit Alkohol.
Keinesfalls vergessen darf man die nachlassende Sehfähigkeit als Sturzursache. Nicht selten ist es eine falsche Brille, die das Stolpern begünstigt. So können Gleitsichtbrillen zu tückischen Täuschungen der Tiefenwahrnehmung z.B. auf Treppen oder im Freien führen und sollten im Zweifelsfall gegen klassische Einglasbrillen getauscht werden.
Ein weiterer Punkt: Die orthostatische Hypotonie bzw. Dysregulation. Patienten, bei denen sich im Stehtest der Blutdruck innerhalb weniger Minuten wieder stabilisiert, sollte deshalb zu einem sehr langsamen Aufstehen nach längerem Sitzen geraten werden. Gegebenenfalls ist die Gabe von Antihypertensiva oder Anticholinergika zu überprüfen, anzupassen und bei Unklarheiten ein neurologisches Konsil einzuholen.
Nicht zuletzt lohnt auch der Blick in das häusliche Umfeld. Die Überprüfung beispielsweise von Stolperfallen wie Teppichen oder Türschwellen sowie der Beleuchtung kann z.B. ein Pflegedienst übernehmen. Hilfsmittel wie ein Duschhocker entschärfen speziell die Rutschgefahr im Badezimmer.
Die Ausstattung mit Hüftprotektoren hat dagegen wohl keinen Einfluss auf die Rate von Knochenbrüchen. Sinnvoller ist dagegen bei Risikopatienten eine Osteoporoseprophylaxe. Eine Vitamin-D-Supplementation hilft bei der Sturzprävention allerdings nicht.
Quelle: Ganz DA, Latham NK. N Engl J Med 2020; 382: 734-743; DOI: 10.1056/NEJMcp1903252