Tonisch-klonische Anfälle: Was gehört zur Akuttherapie?

Dr. Dorothea Ranft

Zucken vom Zucker: Liegt eine Hypoglykämie vor, sollten Sie sofort 40 %ige Glukose infundieren. Zucken vom Zucker: Liegt eine Hypoglykämie vor, sollten Sie sofort 40 %ige Glukose infundieren. © iStock.com/Steve Debenport

Besteht der Verdacht auf einen epileptischen Anfall, müssen Sie diesen rasch von einer konvulsiven Synkope oder einer psychogenen Form unterscheiden können. Die Art und Dauer der Krämpfe helfen dabei. Danach gilt es zu klären, ob es einen akut-symptomatischen Auslöser gibt.

Bei einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall spannen sich zunächst sämtliche Skelettmuskeln synchron an (tonische Aktivierung), die Atmung sis­tiert und u.a. verliert der Patient das Bewusstsein. In der daran anschließenden klonischen Phase werden die Muskeln symmetrisch angespannt und wieder entspannt. Eine tonisch-klonische Phase hält selten länger als ein bis zwei Minuten an, schreiben die Privatdozenten Dr. Johannes Schiefer und Dr. Rainer Surges von der Neurologie der Uniklinik RWTH Aachen. Als besondere Zeichen dieser Anfälle gelten lateraler Zungenbiss und Einnässen, oft finden sich Kopfplatzwunden oder Wirbelkörperfrakturen – auch ohne Sturz.

Am häufigsten verwechselt werden die generalisierten tonisch-klonischen Anfälle mit Synkopen (< 1 Minute) und psychogenen Anfällen (> 5 Minuten). Typisch für eine Synkope ist der kurze Bewusstseinsverlust, ausgelöst durch zerebrale Minderperfusion. In vielen Fällen werden die Betroffenen schlaff und stürzen, die Schutzreaktion bleibt oft aus. Bei einer konvulsiven Synkope kommt ein asymmetrisches, irreguläres Zucken der Extremitäten oder eine kurzzeitige Versteifung begleitend hinzu.

Mund nie gewaltsam öffnen und keinen Beißkeil einführen

Psychogene Anfälle lassen sich vielfach aufgrund typischer klinischer Zeichen als solche erkennen. Dazu gehören z.B. zugekniffene Augen und ein aktives Wegdrehen der Bulbi, die Pupillen bleiben lichtreagibel. In der Motorik findet sich ein wildes, asymmetrisches Zucken ebenso wie ein opisthotones Verspannen („arc de cercle“). Das Notfallmanagement bei tonisch-klonischen Anfällen konzentriert sich zunächst auf nicht medikamentöse Akutmaßnahmen: Die nähere Umgebung des Patienten muss von gefährlichen Objekten befreit werden, danach gilt es, die Atemwege zu sichern und den Betroffenen in eine stabile Seitenlage zu bringen. Dabei darf man weder den Mund gewaltsam öffnen noch Gegenstände wie einen Beißkeil einführen, warnen die Autoren. Sie raten, mindestens einen i.v. Zugang zu legen.

Akutversorgung beinhaltet immer das Blutzuckermessen

EKG, Blutdruck und O2-Sättigung sollten auf jeden Fall bis zu 30–60 min nach dem Anfall überwacht werden. Sauerstoff kann niedrig dosiert (2 l/min) auch schon während des Anfalls gegeben werden. Eine oro- oder nasotracheale Intubation ist meist erst bei einem Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle erforderlich – allerdings auch bei vitaler Gefährdung des Patienten oder wenn die Antikonvulsiva versagen.

Oft führen starke Hypoglykämien zu einem epileptischen Anfall, daher ist der Blutzucker-Stix ein essenzieller Teil der Akutversorgung, betonen die Autoren. Außerdem können einige Medikamente epileptische Anfälle fördern, dazu zählen Penicillin, Chinolone, Amitriptylin, Imipramin, Clozapin, Lithium und Theophyllin. Generell ist es deshalb wichtig, sich so viele Informationen wie möglich zu verschaffen sowohl vom Betroffenen als auch von „Laienbeobachtern“: Sind Epilepsie, Diabetes oder neurologische Erkrankungen bekannt? Werden relevante Medikamente eingenommen? Konsumiert der Betroffene Drogen oder ist alkoholkrank?

Diagnose Epilepsie nach ein bis zwei Anfällen

Die Diagnose Epilepsie kann bereits nach zwei unprovozierten Anfällen gestellt werden, wenn sie länger als 24h auseinander liegen. Unprovoziert bedeutet, dass keine Akuterkrankung (Hirnblutung, Enzephalitis, Schädel-Hirn-Trauma) vorhanden ist. Schlafentzug ist für Nicht-Epileptiker kein plausibler Auslöser. Ist die Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle erhöht, z.B. bei epilepsietypischen Veränderungen in MRT, CT oder EEG, kann die Diagnose sogar nach dem ersten unprovozierten Anfall erfolgen.

Bestätigt sich der Verdacht einer Hypoglykämie oder ist bei dem Patienten ein Diabetes mellitus dia­gnostiziert und der Blutzuckerspiegel unklar, sollte man sofort 40%ige Glukose (60 ml) intravenös verabreichen. Bei Alkoholkrankheit sind sofort 100 mg Thiamin intravenös zu injizieren. Um das Risiko für eine Wernicke-Enzephalopathie zu verringern, sollte das Vitamin B1 ggf. vor der Glukose appliziert werden.

Ab fünf Minuten liegt ein Status vor

Handelt es sich um einen selbstlimitierenden tonisch-klonischen Anfall, muss primär auf die Sicherung der Atmung und die Organisation der weiteren Versorgung des Patienten geachtet werden. Benzodiazepine prophylaktisch zu verabreichen, sollte gut überlegt sein. Zum einen ist es meist nicht nötig und zum anderen kann das Ganze nach hinten losgehen, weil die Benzos das Risiko für Atemdepression und Vigilanzminderung erhöhen und dadurch eventuell eine Intubation notwendig machen, schreiben die Experten. Anders ist die Strategie bei einem Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle. Bei generalisierten tonisch-klonischen Anfällen wird im Gegensatz zu den anderen Epilepsieformen schon ab einer Dauer über fünf Minuten von einem Status gesprochen oder wenn mehrere Anfälle aufeinanderfolgen, ohne dass der Patient zwischenzeitlich das Bewusstsein wiedererlangt. Der Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle muss bis zum Sistieren medikamentös behandelt werden. In der präklinischen Akutversorgung lässt sich dies über Benzodiazepine (i.v.) erreichen.

Status durchbrechen
Wirkstoff
Verabreichung
maximal Dosis
intravenöse Benzodiazepine
Clonazepam0,5–1 mg, ggf. wiederholt2–4 mg
Lorazepam (i.d.R. stationäre Behandlung)2 mg, ggf. wiederholt8 mg/12 h
Diazepam5 mg, ggf. wiederholt30 mg/24 h
Was auch „Laien“ geben können
Diazepam10 mg, rektal30 mg
Midazolam10 mg, nasal (5 mg je Nasenloch)20 mg

Intravenöses Clonazepam zur präklinischen Akutversorgung

Da es nicht gekühlt werden muss, ist in diesen Fällen Clonazepam ideal. Diazepam und Midazolam sollten wegen der prolongierten Vigilanzminderung und Atemdepression nicht Mittel 1. Wahl sein, betonen die Autoren. Lässt sich der Status mit Benzodiazepinen nicht durchbrechen, folgt unter stationären Bedingungen eine hoch dosierte Behandlung mit Antikonvulsiva, bei Bedarf auch eine Intubationsnarkose.

Quelle: Schiefer J, Surges R. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 83-92

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Zucken vom Zucker: Liegt eine Hypoglykämie vor, sollten Sie sofort 40 %ige Glukose infundieren. Zucken vom Zucker: Liegt eine Hypoglykämie vor, sollten Sie sofort 40 %ige Glukose infundieren. © iStock.com/Steve Debenport