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Wenn sich das M0-Prostatakarzinom plötzlich als oligometastasiertes entpuppt

Ein PSA-Wert von 18 ng/dl, T3a-Tumor in der rechten peripheren Zone der Prostata, Gleason 4+4. In der konventionellen Bildgebung ergaben sich soweit keine Hinweise auf Streuung bei dem 65-jährigen Patienten, doch im PSMA-PET-Scan leuchteten drei kleine Punkte im Bereich des Beckens und der Wirbelsäule: Knochenmetastasen.
Was früher noch als M0-Stadium klassifiziert worden wäre, wird durch die sensitiveren Detektionsverfahren nun öfter zur oligometastasierten Erkrankung. Und gar nicht selten finden sich die Absiedelungen an komplett unerwarteten Stellen. Doch sollte man die Patienten deshalb anders behandeln und auf die Therapie der Prostata verzichten?
Für Professor Dr. Nicholas James vom Institute of Cancer Research in London käme das in dem genannten Fall nicht infrage. Die Primärtherapie biete einen klaren Überlebensvorteil im M0-Stadium, das aber in Studien eben immer auf der konventionellen Bildgebung basiert habe. „Da werden viele Männer wie in unserem Fall dabei gewesen sein“, so seine Vermutung. Dann müsse man die Ergebnisse entsprechend übertragen.
Im Rahmen des STAMPEDE-Trials, an dem der Experte mit beteiligt ist, hätte sich zudem herausgestellt, dass auch als metastasiert eingestufte Patienten durchaus Vorteile von einer Behandlung – und hier vor allem einer Bestrahlung – der Prostata haben können:
- Bei bis zu drei Metastasen ergab sich ein großer Einfluss auf das sogenannte Failure free survival, mit einer Hazard Ratio (HR) von 0,59 und damit einer Reduktion des Risikos, ein Rezidiv zu erleiden oder am Tumor zu sterben. Dies setzte sich fort in einem Vorteil für das Gesamtüberleben (HR 0,68). Ein substanzieller Benefit, der bei mehr als drei Absiedelungen nicht vorhanden war.
- Einen vergleichbaren Effekt fanden die Forscher bei Patienten, deren Tumor „nur“ in Lymphknoten gestreut hatte – mit Ausnahme der viszeralen Knoten. Waren diese befallen oder hatte der Krebs weiter entfernte Metastasen gebildet, profitierten die Betroffenen nicht von der Therapie des Primärtumors.
- Waren Knochenmetastasen vorhanden, zeigte sich aber ein Überlebensvorteil durch die Bestrahlung der Prostata bis zu einer Anzahl von sechs bis sieben Metastasen, beim Failure free survival sogar bis acht oder neun Metastasen.
Bleibt die Frage, ob man auch die Absiedelungen gezielt behandeln sollte. Für Männer, die bereits bei der Erstdiagnose unter Oligometastasen leiden, gebe es dazu bislang keine randomisierten Studien, sagte Prof. James.
Anders für Patienten mit Oligorezidiv nach Primärtherapie. Bisherige Ergebnisse deuteten bei ihnen auf einen Nutzen hin. Unter anderem blieb den Behandelten länger eine Androgenentzugstherapie (ADT) erspart, die langfristig mit heftigen Nebenwirkungen einhergehen kann. „Sie zerstört Knochen und Muskeln, verursacht Demenz und ruiniert das Sexualleben“, brachte Prof. James es auf den Punkt. Seinem Gefühl nach könne es für den Patienten ein gutes Ergebnis sein, wenn es gelinge, die ADT ein paar Jahre hinaus zu zögern.
Auch Professor Dr. Howard M. Sandler vom Cedars-Sinai Medical Center versucht, eine ADT möglichst kurz zu halten oder zu vermeiden. Entsprechend handhabte er es, als einer seiner Patienten nach einer ersten erfolgreich bekämpften Knochenmetastase erneut ein PSA-Rezidiv mit einem befallenen Lymphknoten im Beckenbereich entwickelte. Um einer Ausbreitung ins angrenzende Gewebe vorzubeugen, entschied er sich für eine intensitätsmodulierte Strahlentherapie mit integriertem Boost des abnormen Knotens. „Ich behaupte nicht, dass das ein datenbasierter Ansatz ist, aber ich habe damit noch nie In-Feld-Rezidive erlebt“, erklärte Prof. Sandler weiter. Knapp außerhalb des Strahlenfeldes kam es jedoch wieder zum Wachstum – vermutlich, weil dort eine Absiedelung unentdeckt geblieben war.
Ob in solchen Fällen eine Lymphknotendissektion helfen könnte, scheint zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Professor Dr. Robert Given, Urologe an der Eastern Virginia Medical School, fasste hierzu die Daten einer Metastudie zusammen. Demnach ließen sich so bisher biologische Ansprechraten von 22–80 % erreichen. Das progressionsfreie Überleben über fünf Jahre betrug 26–52 %, das krebsspezifische Überleben 71–97 %. Offen sei aber ebenfalls, welche Knoten dabei am besten entfernt werden sollten. Im genannten Fall hätte er eher einen radiotherapeutischen Ansatz gewählt. Ebenso wie Prof. James, der allerdings klar die stereotaktische ablative Strahlentherapie (SABR) bevorzugt hätte. Bei Oligorezidiven könne man metastasengerichtete Behandlungen mehrmals wiederholen, bevor man auf systemische Therapien umsteige.
Dass dieses Prinzip auch bei kastrationsresistenten Rezidiven möglich ist, demonstrierte Professor Dr. Phuoc Tran an einem weiteren Beispiel. Der Radioonkologe an der Johns Hopkins University School of Medicine hatte etwa zehn Jahre zuvor einen 66-jährigen Patienten übernommen, der nach Bestrahlung und Langzeit-ADT kurz nach Absetzen der Therapie trotz Testosteronlevel von unter 20 ng/dl vergrößerte Lymphknoten entwickelte.
Statt auf eine erneute ADT setzte Prof. Tran auf die alleinige SABR der abdominellen Lymphknoten, ähnlich wie Prof. Sandler mit signifikantem Boost und einem etwas größeren Areal – in der Hoffnung, zumindest einige Dinge in der Nähe zu erwischen, wie er es ausdrückte. Die Strahlendosis fiel mit 28 Gy aus heutiger Sicht vergleichsweise gering aus. „Aber es war einer unserer ersten Ausflüge in dieses Gebiet“, fügte er entschuldigend hinzu. Trotzdem sei es zu einer sehr guten Teilantwort mit Regression der Lymphknoten und einem PSA-Nadir von 0,14 gekommen.
Sein Patient habe aufgrund immer wiederkehrender einzelner Metastasen letztlich mehrere Runden SABR absolviert. Irgendwann hätten sie gegen den Androgenrezeptor gerichtete Therapien einsetzen müssen, auch Abirateron plus Prednison. „Dann musste er auf Docetaxel umsteigen. Und da ist er aktuell“, so Prof Tran.
Wirklich belastbare prospektive Studiendaten zur optimalen Vorgehensweise bei Oligometastasen fehlten wie in den vorherigen Fällen auch für das kastrationsresistente Prostatakarzinom, bedauerte der Experte. Die neuen Möglichkeiten durch die sensitivere Bildgebung sah er eher als Chance für die Zukunft. „Wir müssen diese so intelligent wie möglich in bestehende und künftige Studien mit einfließen lassen.“ Nicht, um bisherige Erkenntnisse komplett über Bord zu werfen, sondern sinnvoll weiterzuentwickeln.
Quelle: Sandler HM et al. 2021 ASCO Annual Meeting (virtuell)
Kongressbericht: 2021 ASCO Annual Meeting (virtuell)
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