Wie gefährlich sind Antipsychotika in der Schwangerschaft für den Nachwuchs?

Friederike Klein

Viele Schwangere fragen sich, ob sie das Risiko eingehen sollen. Viele Schwangere fragen sich, ob sie das Risiko eingehen sollen. © iStock/Alter_photo

Antipsychotika werden mittlerweile in Schwangerschaft und Stillzeit häufiger gegeben. Und damit sind auch die Kenntnisse zu teratogenen und embryotoxischen Effekten dieser Wirkstoffe gewachsen. Ein Überblick, was man heute über das Gefahrenpotenzial weiß und wie man mit ihm umgeht.

Die meisten Antipsychotika der ersten Generation waren mit einer Hyperprolaktinämie und damit einer Infertilität assoziiert – zu der Zeit, als man nur diese Substanzen zur Verfügung hatte, musste man sich um Teratogenität keine Gedanken machen. Das ist mit den Antipsychotika der zweiten Generation anders geworden, berichtete der Neonatologe Dr. Wolfgang E. Paulus von der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie der Universitätsfrauenklinik Ulm.

Mehr Fehlgeburten, mehr Wachstumsretardierung

Sie gehen mit keiner oder allenfalls einer moderaten Hyperprolaktinämie einher, die Fertilität der Frau bleibt erhalten. So ist das Thema Embryotoxizität und Teratogenität stärker in den Vordergrund gerückt.

Eine Metaanalyse zu geburtshilflichen und neonatalen Ergebnissen unter der Therapie mit Neuroleptika hat gezeigt, dass sechsmal mehr Schwangerschaftsabbrüche, aber keine erhöhte Spontanabortrate oder vermehrt Fälle von intrauterinem Fruchttod auftreten.1 Die Schwangerschaftsabbrüche werden vor allem aufgrund der individuellen Situation der Schwangeren und der Verunsicherung durch die Angaben im Beipackzettel bei ungeplanter Schwangerschaft vorgenommen, sagte Dr. Paulus. Bei Frauen mit Psychosen seien etwa 50 % aller Schwangerschaften ungeplant, erklärte der Kollege.

Die Metaanalyse besagt auch, dass das Fehlgeburtsrisiko bei Schwangerschaften mit Antipsychotika-Exposition im Vergleich zu denjenigen ohne fast verdoppelt und die Gefahr der fetalen Wachstumsretardierung mehr als verdoppelt ist. Die ermittelte mittlere Gewichtsreduktion betrug bei den exponierten Neugeborenen ca. 50–60 g. Das beunruhige ihn als Neonatologen nicht besonders, betonte Dr. Paulus.

Schwere angeborene Fehlbildungen treten gut doppelt so häufig auf, wenn die Schwangere antipsychotisch behandelt wird. Das gilt auch für Herzfehler und ist nicht auf Antipsychotika der zweiten Generation beschränkt, erinnerte Dr. Paulus. Er verwies darauf, dass solche Daten keine Kausalität, sondern Assoziationen beschreiben, die anfällig für Einflussfaktoren sind. So war in der Analyse einer amerikanischen Versicherungsdatenbank das Fehlbildungsrisiko der Kinder von Müttern mit psychotischer Erkrankung nur bei einer In-utero-Exposition gegenüber Risperidon signifikant erhöht.2 Unter allen anderen Antipsychotika lag die Fehlbildungsrate im Rahmen des Basisrisikos.

In einem Review auf Basis von 23 Studien zur Sicherheit von Antipsychotika der zweiten Generation in der Schwangerschaft fanden sich keine Hinweise für ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko durch Aripiprazol, Olanzapin und Quetiapin.3 Dagegen sprachen die Daten für eine leicht erhöhte Gefahr durch Risperidon und Paliperidon. Für andere Zweitgenerations-Antipsychotika war die Datenlage 2018 nach Aussage der Autoren nicht ausreichend, um das Fehlbildungsrisiko zu beurteilen.

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Eine qualifizierte Antwort auf Ihre Frage, d.h. eine schriftliche Stellungnahme plus aktuelles Literaturverzeichnis, verspricht Dr. Paulus innerhalb von 24 Stunden. Wenden Sie sich an die Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie.

Als Neonatologe warf Dr. Paulus auch einen Blick auf postpartale Symptome der in utero antipsychotikaexponierten Neugeborenen. Die Auswertung finnischer Registerdaten ergab, dass häufiger Agitiertheit, ein auffälliger Muskeltonus, Tremor, Somnolenz, Atemnot oder Störungen bei der Nahrungsaufnahme auftreten.4

Absetzen und Dosisreduktion können ebenfalls riskant sein

Deshalb sollte bei der Geburt ein Pädiater greifbar und eine Neugeborenenstation in der Nähe sein, empfahl Dr. Paulus. Unabhängig von der Generation des Antipsychotikums müsse von einem um etwa 60 % erhöhten Risiko für eine notwendige Verlegung auf eine neonatologische Station wegen Anpassungsschwierigkeiten gerechnet werden. Die werdenden Mütter entwickeln bei Antipsychotika-Exposition häufiger einen Gestationsdiabetes und die Kaiserschnittrate ist erhöht. Nach den finnischen Daten sind auch Makrosomien häufiger – vor allem unter Zweitgenerationsantipsychotika. Das Risiko für Frühgeburten in der 32.–36. Woche ist erhöht, dasjenige vor der 32. Woche dagegen deutlich reduziert. In dieser Zeit bestehe also ein Benefit zugunsten der Antipsychotikatherapie, sagte Dr. Paulus. Er resümierte, dass Anti­psychotika in der Schwangerschaft sicher auch weiterhin nicht großzügig verabreicht werden sollten, dass das Absetzen oder eine starke Dosisreduktion aber auch sehr bedrohliche Symptome bei der Mutter hervorrufen können. Daher sollte die Therapieentscheidung unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken für Mutter und Kind erfolgen.

Kongressbericht: DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) Kongress 2019

Quellen:
1. Coughlin CG et al. Obstet Gynecol 2015; 125: 1224-1235; DOI: 10.1097/AOG.0000000000000759
2. Huybrechts KF et al. JAMA Psychiatry 2016; 73: 938-946; DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2016.1520
3. Damkier P, Videbech P. CNS Drugs 2018; 32: 351-366; DOI: 10.1007/s40263-018-0517-5
4. Ellfolk M et al. Eur J Clin Pharmacol 2019; DOI: 10.1007/s00228-019-02769-z

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