Epilepsie: Falsche Diagnose, Interaktionen, verkannte Nebenwirkungen

Autor: Maria Weiß

Viele Ärzte verzichten darauf, über den SUDEP aufzuklären, um Patienten nicht zu verunsichern. Dabei hätte genau das vielleicht den Tod einer jungen Patientin verhindern können. (Agenturfoto) Viele Ärzte verzichten darauf, über den SUDEP aufzuklären, um Patienten nicht zu verunsichern. Dabei hätte genau das vielleicht den Tod einer jungen Patientin verhindern können. (Agenturfoto) © iStock//Phynart Studio

Die Epilepsie hat viele Gesichter und bei der oft sehr komplexen antiepileptischen Therapie müssen etliche potenzielle Nebenwirkungen und Interaktionen bedacht werden. Fehler können daher leicht passieren. Wichtig ist, mit ihnen offen umzugehen und aus ihnen zu lernen.

Der Arzt Frank Brandhoff vom Epilepsiezentrum Kleinwachau in Radeberg schilderte den Fall eines 20-jährigen Patienten. Dieser litt seit dem 18. Lebensjahr an einer ätiologisch unklaren fokalen Epilepsie mit bilateralen tonischen klonischen Anfällen und langer Re­orientierungsphase. Der im Umgang etwas schwierige junge Mann wurde stationär neu eingestellt. Zusätzlich zu einer Therapie mit Brivarace­tam (BRV 200 mg) und Lamotrigin (LTG 25 mg) bekam er jetzt Oxcarbazepin (OXP), das schrittweise von 300 mg/d auf 1200 mg/d hochdosiert wurde.

Am Tag seiner – von allen herbeigesehnten – Entlassung zeigte er ein schwaches Arzneimittelexanthem. Nach Hause gehen durfte er trotzdem, nachdem man die OXP-Dosis auf 900 mg/d heruntergesetzt und ihm 3 mg Fenistil® gegeben hatte. Am Abend landete der Patient in der Notaufnahme einer anderen Klinik – mit hohem Fieber und einem ausgeprägten Arzneimittelexanthem. Man hätte das bekannte hohe allerogene Potenzial von OXP auf jeden Fall ernst nehmen und die Substanz komplett absetzen müssen, sagte Dr. Brandhoff.

Professor Dr. Adam Strzelczyk vom Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main am Universitätsklinikum Frankfurt schilderte einen weiteren Fall: Eine 31-Jährige mit Absencen und idiopathischer generalisierter Epilepsie seit dem 22. Lebensjahr war eigentlich eine Vorzeigepatientin.

SUDEP nach dem Junggesellinnenabschied

Sie bekam unter LTG und Levetiracetam (LEV) nur noch selten Anfälle. Die Frau hatte BWL studiert und arbeitete erfolgreich in ihrem Beruf. Nach einem bis zum frühen Morgen gehenden feucht-fröhlichen Junggesellinnenabschied fand man sie leblos und mit Zungenbiss in ihrem Hotelbett.

Ursache war höchstwahrscheinlich ein SUDEP (sudden unexpected death in epilepsy) – ausgelöst durch die Kombination von Alkoholkonsum und Schlafentzug. Wichtig ist in diesem Fall die Frage, ob die Patientin von ihrem behandelnden Arzt ausreichend über das SUDEP-Risiko und mögliche Auslöser aufgeklärt worden war. Viele Ärzte verzichten nach Erfahrung von Prof. Strzelczyk darauf, um die Patienten nicht zu verunsichern. Doch die bzw. ihre Eltern wünschen Umfragen zufolge eine entsprechende frühzeitige Aufklärung und nach initialer Beunruhigung sind negative Langzeitfolgen in der Regel nicht zu befürchten.

Ein weiterer Fall: Ein Patient litt seit seinem 15. Lebensjahr an einer therapieresistenten Epilepsie. An Antiepileptika hatte er quasi alles, was gut und teuer war. 1993 erfolgte ein neurochirurgischer Eingriff, da man in der MRT rechts temporal eine Raumforderung gesehen hatte. Der Tumor wurde dabei verfehlt – 1995 erfolgte eine weitere (erfolglose) OP. Der histologische Befund lautete nach beiden Eingriffen: Gliazellvermehrung mit lymphozytären Infiltraten.

EEG-Monitoring sicherte Operationserfolg

Als 2008 eine leichte Größenprogredienz der intrazerebralen Struktur auffiel, wurde ein erneuter Eingriff geplant – erstmals mithilfe des prächirurgischen EEG-Monitorings. Hierbei zeigte sich eine multifokale, beidseits temporal betonte Epilepsie. Es erfolgte eine Zweidrittelresektion des Temporallappens einschließlich des Tumors und des vorderen Hippocampusbereiches. Der Tumor erwies sich histologisch als Gangliogliom. Der Patient ist seit dem Eingriff über zehn Jahre anfallsfrei.

Ihm hätte viel erspart werden können, wenn man sich nicht mit einer neuroonkologisch unklaren Histologie zufriedengegeben hätte, monierte Prof. Strzelczyk. Auch wäre die Vorstellung in einem Epilepsiezentrum angezeigt gewesen, was nie erfolgt war.

Dr. Alexandra Klotz von der Sektion für Pädiatrische Epileptologie am Universitätskli­nikum Freiburg be­richtete über ein fünfjähriges Mädchen. Bei ihm waren seit dem Säuglingsalter eine Epilepsie und eine Entwicklungsstörung mit frühkindlichem Autismus bekannt, die auf einer maternal vererbten PCDH-19-Mutation beruhten. Nach anfänglicher Therapieresistenz war das Kind seit etwa 1,5 Jahren unter Valproat (VPA) plus Bromid plus Clobazam (CLB) bei stabilen Spiegeln im therapeutischen Bereich relativ gut eingestellt.

Jetzt berichtete die Mutter, das Mädchen würde seit zwei Wochen vermehrt speicheln, sei morgens kaum aus dem Bett zu bekommen und würde tagsüber ständig wieder einschlafen. Auch bei der Vorstellung bei Frau Dr. Klotz war sie nur kurz weckbar und schlief immer wieder ein.

Was war passiert? Die Eltern hatten gelesen, dass das Cannabinoid CBD bei kindlichen Verhaltensstörungen Wunder wirken kann. Sie verabreich­ten daher ihrer Tochter ein Präparat aus der Schweiz, das sie seit drei Wochen schrittweise auf circa 15 mg/kg/d aufdosiert hatten. Die Bestimmung des Desmethylcloba­zam-Spiegels ergab einen deutlich erhöhten Wert von 5700 µg/l, was auf die Interaktion mit CBD zurückgeführt wurde.

Dieser Fall macht die Relevanz der genauen Medikamentenanamnese deutlich, erklärte die Kollegin. Den zahlreichen möglichen Interaktionen der Antiepileptika komme man am besten mit Interaktionstabellen oder mit einer entsprechenden Software auf die Spur.

Quelle: Epilepsie Online-Fortbildungsakademie