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Der Krebs frisst auch die Psyche

Etwa die Hälfte aller Krebspatienten hat heute eine gute Langzeitprognose mit Überlebenszeiten von zehn Jahren und mehr. Die Patienten sind allerdings oft psychisch stark belastet, u.a. durch Depression und Angst – und zwar zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung, schreiben Dr. Alexandra Pitman, Psychiaterin am St. George’s University Hospital London, und Kollegen. Die Inzidenzen von 20 % für Depressionen und 10 % für Angststörungen liegen deutlich über denen der Durchschnittsbevölkerung.
Auslöser für die Komorbiditäten finden sich sowohl auf biologischer als auf psychologischer Ebene. Direkte neuropsychiatrische Effekte durch den Krebs selbst werden u.a. bei Pankreaskarzinomen diskutiert, vermittelt unter anderem durch das vom Tumor freigesetzte Interleukin-6. Klinische Korrelate sind Depressionsraten von rund 70 %, häufig begleitet von Angst. Nicht selten klagen Patienten mit Bauchspeicheldrüsenmalignomen schon Monate vor der Diagnose über eine gedrückte Stimmung.
Hyponatriämie trägt zur Dysthymie bei
Bei Patienten mit kleinzelligem Lungenkarzinom trägt möglicherweise die unzureichende Sekretion des antidiuretischen Hormons und die damit einhergehende Hyponatriämie zur Dysthymie bei. Paraneoplastische Effekte in Form einer malignen Hyperkalzämie, wie sie im Rahmen einer ektopen Parathormon-Produktion u.a. bei nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, Myelom, Mammakarzinom sowie bei Knochenmetastasen beobachtet wird, begünstigen ebenfalls depressive Schübe.
B12-Mangel durch Bestrahlung gynäkologischer Tumoren
Auch spezifische Krebstherapien greifen die Psyche an. So können Kortikosteroide in hoher Dosis Hypomanien verursachen, in niedrigen und langfristig gegebenen Dosen dagegen depressive Stimmungen hervorrufen. Beschrieben sind depressionsfördernde Effekte außerdem unter einer Androgenentzugstherapie beim Prostatakarzinom sowie nach Radiatio von Kopf-Halstumoren aufgrund einer Schilddrüsenunterfunktion. Die Bestrahlung gynäkologischer Tumore hinterlässt vielfach einen Vitamin B12-Mangel durch Resorptionsstörungen in der Darmschleimhaut. Das Defizit wird ebenso mit einer erhöhten Depressionsrate assoziiert. Und manche Patienten reagieren auf Immuntherapien und die gezielt wirksamen „small molecules“ mit depressiv gefärbten Dysbalancen.
Auf der psychologischen Ebene spielen neben der Furcht vor der Prognose und der Belastung durch die Akuttherapie auch Langzeitschäden, krankheitsbedingte Körperschemastörungen, pessimistische Zukunftserwartungen sowie Fehlinterpretationen von körperlichen Zuständen eine Rolle, erklären die Autoren. Einschränkungen in der funktionellen und sozialen Rolle sowie mangelnde soziale Unterstützung stellen weitere wichtige Risikofaktoren für Depression und Angst bei Krebspatienten dar und sollten möglichst früh adressiert werden. Solche Zustände manifestieren sich gar nicht so selten erst beim Übergang in ein „normales“ Leben – dann, wenn die lange Zeit den Alltag bestimmenden Behandlungstermine und die Fürsorge durch Angehörige und medizinische Zentren langsam weniger werden.
Welche Medikamente für wen?
Spezielle Therapieangebote gehören zur Routine
Entscheidenden Anteil an der Depressionsentwicklung hat zudem die Prädisposition der Patienten. Studien zeigen, dass Patienten mit einer psychiatrischen Vordiagnose besonders anfällig für Depressionen und Angst im Rahmen der Krebserkrankung sind. In der Behandlung sollten zunächst biologische Ursachen wie z.B. ein B12-Mangel, Schilddrüsenunterfunktion oder eine Hyperkalziämie in Angriff genommen werden. Psychotherapeutische Interventionen wie die kognitive Verhaltenstherapie helfen bei der Bewältigung der Symptome, entsprechende Angebote im Rahmen der onkologischen Versorgung stehen heute routinemäßig zur Verfügung.Quelle: Pitman A et al. BMJ 2018; 361: k1415
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