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Muskelschmerzen unter Statinen – Ist es wirklich eine Myopathie?
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Da Statine zur kardiovaskulären Risikoreduktion breit eingesetzt werden, ist es von großem Interesse, unabhängige Prädiktoren für das Auftreten der gefürchteten Nebenwirkung Myopathie zu kennen. Wissenschaftler um Jemma C. Hopewell vom Big Data Institut der University of Oxford haben in einem Studienkollektiv aus fast 60 000 Patienten 171 Fallberichte mit bestätigter Myopathie extrahiert und nach Gemeinsamkeiten gesucht. Datengrundlage waren die HPS-, SEARCH- und HPS2-THRIVE-Studien. Alle Patienten befanden sich seit durchschnittlich 3,4 Jahren unter einer Simvastatintherapie.
Als gesichert galt die Myopathie, wenn unerklärbare Muskelschmerzen oder eine Muskelschwäche zusammen mit einem Anstieg der Kreatinkinase (CK) auf mehr als das Zehnfache der oberen Norm auftraten. Weiterhin wurden in dem Kollektiv etwa 15 000 Fälle von anderen Muskelsymptomen identifiziert, um deren Assoziation mit dem Myopathie-Risiko zu ermitteln.
Unter der Statintherapie gab es neun Fälle pro 10 000 Personenjahre
Tatsächlich erwies sich die Myopathie in der Kohorte als seltenes Ereignis – 9 Fälle pro 10 000 Personenjahre unter Statintherapie –, das außerdem meist zu Beginn auftrat. Als ein wichtiger Risikofaktor stellte sich die Statindosis heraus: Die Gabe von 80 mg war gegenüber der von 20 mg mit einem 20-fachen Risikoanstieg verknüpft, zwischen 40 mg und 20 mg gab es jedoch keinen signifikanten Unterschied.
Auch die Ethnizität spielte eine Rolle: Der chinesische Teil der HPS2-THRIVE-Kohorte hatte ein etwa 10-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zu europäischen Teilnehmern. Zusätzlich erwiesen sich weibliches Geschlecht, ein hohes Alter und ein niedriger BMI als weitere unabhängige Risikofaktoren. Antiglykämisch behandelte Diabetiker hatten ein mehr als verdoppeltes Myopathie-Risiko im Vergleich zu Nicht-Diabetikern, während Diabetiker ohne medikamentöse Therapie sich von den „Zuckergesunden“ nicht signifikant unterschieden. Auch andere Begleitmedikationen erhöhten das Risiko, allerdings unterschiedlich stark: Verapamil um das 8-Fache, Niacin-Laropiprant und Diltiazem um mehr als das 3-Fache sowie Betablocker und Diuretika um je 65–75 %.
Aus diesen Risikofaktoren erstellten die Wissenschaftler einen Myopathie-Risikoscore. Dieser betrug bei den Patienten mit bestätigter Myopathie durchschnittlich 7,2, bei den anderen Teilnehmern 4,2. Als Myopathie-Prädiktor zeige sich der Score äußerst aussagekräftig, berichten die Autoren: Zwischen dem obersten und dem untersten Drittel der Scorewerte lag eine 34-fache Differenz im Myopathie-Risiko. Die gleiche Aufteilung nur innerhalb der Patienten mit Muskelsymptomen und CK-Anstiegen unterhalb der Myopathie-Grenze (Erhöhung um einen Faktor > 5 und ≤ 10) ergab lediglich eine 3,5-fache Differenz. Zu Muskelsymptomen ohne CK-Anstieg zeigte der Score keinerlei Beziehung. Der SLCO1β1-Genotyp wies eine Assoziation mit Myopathie in Höhe eines 3-fachen Risikoanstiegs auf, war aber ebenfalls nicht mit den anderen Muskelbeschwerden assoziiert.
Generelle Muskelsymptome werden zwar immer wieder mit Statinen in Verbindung gebracht, haben damit aber offenbar nichts zu tun, folgern die Autoren. Dies entspricht den Ergebnissen, die auch placebokontrollierte Studien zeigten: Muskelschmerzen oder Muskelschwäche ohne deutlichen Anstieg der Kreatinkinase waren in Placebogruppen ebenso häufig aufgetreten wie in Statingruppen.
Ist der Laborwert normal, sind die Muskeln in Ordnung
Die Mechanismen, warum Statine eine Myopathie auslösen, bleiben größtenteils unklar. Vermutet wird allerdings, dass die absolute Konzentration der Statine im Kreislauf eine entscheidende Rolle spielt, schreiben die Autoren.
Der behandelnde beziehungsweise verordnende Arzt sollte seine Patienten unbedingt darüber aufklären, dass Muskelsymptome zwar auftreten können, diese aber verhältnismäßig selten auf die Statine zurückzuführen sind. Falls mal ein Muskel zwickt, sollten Betroffene folglich nicht eigenmächtig ihre Medikation absetzen und so einen Myokardinfarkt oder Schlaganfall riskieren.
Die Wissenschaftler raten stattdessen, wenn Patienten unter Statinen Muskelsymptome entwickeln, die Kreatinkinasewerte zu checken. Sind diese nicht erhöht, kann man davon ausgehen, dass keine Myopathie droht, und den Patienten beruhigen. Lassen sich moderat erhöhte CK-Werte feststellen, sollte man jedoch aufmerksam sein und zunächst ein CK-Monitoring durchführen.
Quelle: Hopewell JC et al. Eur Heart J 2020; ehaa574; DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa574
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