Umsatzsteuer Der Fiskus guckt jetzt genauer hin

Praxismanagement , Geld und Steuern Autor: Michael Reischmann

Ein Arzt ist eine „Unternehmerpersönlichkeit“, die Umsatzsteuerpflicht lässt sich nicht auf einen Einnahmenteil beschränken. Ein Arzt ist eine „Unternehmerpersönlichkeit“, die Umsatzsteuerpflicht lässt sich nicht auf einen Einnahmenteil beschränken. © Stockfotos-MG – stock.adobe.com

In Bayern möchten die Finanzämter auch von niedergelassenen Ärzten eine Umsatzsteuererklärung sehen. Das könnte weitere Kreise ziehen – und Einnahmen ins Licht rücken, die bislang für die Umsatzsteuer unberücksichtigt geblieben sind.

Hausarzt Dr. Karl Köhler (Name geändert) betreibt auf dem Dach seines Privathauses, fernab der Praxis, eine Photovoltaik-Anlage. Sein Gewinn aus der Einspeisung des erzeugten Solarstroms belief sich im Jahr 2020 auf weniger als 500 Euro. Abzuführen waren rund 90 Euro an Umsatzsteuer. Dr. Köhler hat nämlich darauf verzichtet, die sog. Kleinunternehmerregelung zu nutzen, die für Einkünfte von bis zu 22.000 Euro (im vorangegangenen und voraussichtlich 50.000 Euro im laufenden Jahr) eine Umsatzsteuerbefreiung vorsieht. Das machen viele Betreiber kleiner PV-Einheiten so, um sich die gezahlte Vorsteuer aus den Rechnungen für die Installation und Wartung ihrer Anlage vom Finanzamt zurückzuholen.

Was Dr. Köhler aber überrascht hat: Sein Steuerberater berechnete ihm für das Ermitteln des Überschusses aus Gewerbebetrieb (Stromeinspeisung) und das Erstellen der Umsatzsteuererklärung rund 200 Euro Honorar. Dazu kommen noch die Gewerbesteuererklärung und der Auslagenersatz. Über die Hälfte der Stromeinnahmen wird dadurch aufgefressen, wundert sich der Arzt. Auch verblüfft ihn, dass der Berater für die Honorarermittlung nicht nur die knapp 500 Euro zugrunde legte, sondern zusätzlich noch ein Zehntel des Praxisumsatzes, der gar nicht von der Umsatzsteuer tangiert ist.

Sein Steuerberater erklärte ihm: Seit ein paar Jahren bestehe auch für Ärzte die Pflicht, eine Umsatzsteuererklärung beim Finanzamt abzugeben. Folglich müssten in der Umsatzsteuererklärung jedes Jahr die befreiten Arzteinnahmen, Einkünfte für weitere in der Praxis erzielte, aber umsatzsteuerpflichtige Leistungen sowie die Einnahmen aus der PV-Anlage erklärt werden. Die dafür anfallenden Steuerberatungskosten könnten „aber natürlich wieder als Betriebsausgaben steuerlich abgesetzt werden sowie die Vorsteuer (wegen der PV-Anlage) vom Finanzamt zurückgeholt werden“.

Oberster Rechnungshof monierte laxe Kontrollen

Zur Einordnung: Dieser Fall spielt in Bayern. Dort prüfte der Bayerische Oberste Rechnungshof bei sechs Finanzämtern die Besteuerung von Ärzten und Zahnärzten. In seinem Jahresbericht 2016 notierte er, dass nur bei 18 von 130 Betriebsprüfungsfällen im Gesundheitsbereich eine Feststellung zur Umsatzsteuer erfolgte. Die Unterscheidung zwischen umsatzsteuerfreien und -steuerpflichtigen Leistungen von Praxen sei unzureichend kontrolliert worden, monierte der Rechnungshof.

Selten seien die von den Ärzten erklärten umsatzsteuerpflichtigen Umsätze auf Plausibilität geprüft worden. Erkennbar umsatzsteuerpflichtige Angebote im Internet hätten nicht zwangsläufig zur Besteuerung geführt, da die Finanzämter diese Informationsquelle nicht systematisch nutzten. Und selbst wenn bei einem Arzt eine Betriebsprüfung erfolgte, fand der Oberste Rechnungshof in den Akten häufig Vermerke wie „Arzt – keine Umsatzsteuer“.

Das berichtet der Steuerberater Dr. Ralf Erich Schauer, Partner einer auf Heilberufe spezialisierten Steuerberater- und Rechtsanwaltskanzlei in München. Die bayerische Finanzverwaltung habe deshalb re­agiert und „angewiesen, dass seit 2017 von allen niedergelassenen Ärzten in Bayern Umsatzsteuererklärungen angefordert werden“. Schließlich sei eine Unterscheidung in Freiberufler und Gewerbetreibende, wie es sie im Einkommensteuergesetz gibt, für die Umsatzsteuer nicht vorgesehen. „Jede selbstständig ausgeübte, gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ist eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes. Es reicht aus, wenn die Tätigkeit nachhaltig erbracht wird“, erklärt Dr. Schauer.

Umsatzsteuerpflichtiges Leistungsspektrum nimmt zu

Für klassische Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ist zwar in § 4 Nr. 14 UStG eine Umsatzsteuerbefreiung für Ärzte, Zahnärzte, Heilpraktiker, Physiotherapeuten, Hebammen usw. vorgesehen. Allerdings erbringen Heilberufler auch andere Leistungen. „Nicht von der Umsatzsteuer befreit sind zum Beispiel Schönheitsoperationen, Wellnessangebote, Tattoo-Entfernungen sowie Faltenbehandlung mit Hyaluron und Botox“, erläutert Dr. Schauer.

Ärztliche Leistungen mit und ohne Umsatzsteuer

IGeL ohne medizinische Notwendigkeit werden als umsatzsteuerpflichtig eingestuft, z.B. Leistungsdiagnostik und Wettkampftauglichkeitsbescheinigungen für Sportler. Ebenfalls umsatzsteuerpflichtig sind ästhetisch-plastische Leistungen, bei denen kein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe hat aufgeschrieben, welche ärztlichen Gutachten umsatzsteuerpflichtig sind. Beispiele sind Gutachten zur Fahrtauglichkeit oder zur Minderung der Erwerbsfähigkeit in Schadensersatzprozessen, im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Physiotherapie in straf-, zivil- oder familienrechtlichen Verfahren sowie externe Gutachten für den Medizinischen Dienst. Schuleingangsuntersuchungen sind dagegen umsatzsteuerfrei. Selbst Entschädigungen für Tumormeldungen an ein Krebsregister kann die Umsatzsteuer treffen (BFH-Urteil vom 09.09.2015, Az.: XI R 31/13). Ebenso Entgelte für Fachvorträge und Beiträge in Fachzeitschriften. Ein Weg, seine Umsätze rechtssicher als „umsatzsteuerfei“ deklarieren zu lassen, ist das Einholen einer verbindlichen und ggf. gebührenpflichtigen Auskunft vom Fiskus. Das Finanzamt ist dann an die erteilte Auskunft gebunden.

„Immer mehr unserer Mandanten weiten ihr Behandlungsspektrum auch in umsatzsteuerpflichtige Leis­tungsbereiche aus, und die Rechtsprechung hinsichtlich Umsatzsteuerfreiheit wird immer enger. Man muss als Heilberufsangehöriger heute genau wissen, welche Leistungen man mit und welche man ohne Umsatzsteuer erbringt. Die hier erforderliche Spezialberatung wird immer häufiger nachgefragt“, berichtet der Münchner Steuerberater. „Wir raten den Mandanten von uns aus, Umsatzsteuererklärungen einzureichen, vor allem vor dem Hintergrund der Festsetzungsverjährung.“ Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer beträgt vier Jahre. Sie beginnt nach dem Ende des Jahres, in dem die Steuerschuld entstanden ist. Wurde keine Erklärung abgegeben, beginnt die Festsetzungsfrist dagegen erst drei Jahre nach Entstehen der Steuern, läuft also sieben Jahre. „Durch die Abgabe der Umsatzsteuer­erklärung erreicht man, dass das Finanzamt nicht allzu lange in der Vergangenheit Änderungen vornehmen kann“, so Dr. Schauer.

Zusätzliche Arbeit: MwSt. berechnen und abführen

Insa Stoidis-Connemann ist Steuerberaterin im ostfriesischen Leer. In Niedersachsen sollen jetzt ebenfalls verstärkt USt-Erklärungen für die steuerfreien Arzteinnahmen eingefordert werden, hat sie erfahren. Und Nordrhein-Westfalen könnte schnell folgen. Sollten Ärzte künftig grundsätzlich eine „vollständige“ (also nicht nur objektbezogene) USt-Erklärung abgeben müssen, würden die gesamten Arzteinnahmen von der Finanzverwaltung genauer als bisher darauf untersucht, ob darin enthaltene Leistungen umsatzpflichtig seien. Die Kleinunternehmer-Befreiungsgrenze könne dann rasch überschritten sein. Die Folge: Es ist den Kunden Umsatzsteuer zu berechnen und diese ans Finanzamt abzuführen. Solche Einnahmen seien bisher oft im Gros der Arzteinnahmen „untergegangen“ und auch bei Betriebsprüfungen nicht beachtet worden – es sei denn, hohe „sonstige Einnahmen“ führten zu Rückfragen des Finanzamtes, berichtet Stoidis-Connemann. Nachforderungen des Finanzamtes werden sich auf 19 % der jeweiligen umsatzsteuerpflichtigen Einnahmen belaufen, gibt die Steuerberaterin zu bedenken. Plus die Verzinsung der Nachzahlungen mit jährlich 6 % für frühere Jahre bzw. mit einem noch festzusetzenden Zinssatz für die neueren Jahre.

Photovoltaik-Anlage als Liebhaberei

Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Juni 2021 eine Vereinfachung geschaffen für Photovoltaikanlagen von bis zu 10 kW auf Ein- und Zweifamilienhausgrundstücken, die nach dem 31.12.2003 erstmals anliefen. Erklärt der Betreiber schriftlich, dass er die BMF-Regelung nutzen möchte, unterstellt das Finanzamt ohne weitere Prüfung eine einkommensteuerlich unbeachtliche Liebhaberei. Es bedarf dann keiner Gewinnermittlung mehr. Das Bayerische Landesamt für Steuern weist in einem Merkblatt darauf hin, dass dies aber keine Auswirkungen auf die Umsatzsteuer hat. Es kann also die Kleinunternehmerregelung weiterhin genutzt oder auf sie verzichtet werden. Der Sachverhalt sollte im Einzelfall genau geprüft werden, rät Steuerberaterin Insa Stoidis-Connemann. Wurden mit der PV-Anlage in den Vorjahren steuerliche Verluste, z.B. durch die Abschreibungen, erzielt, unterstellt die Finanzverwaltung, dass die Anlage von Anfang an ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben wurde. Die Folge: Alle Bescheide, die noch nicht rechtskräftig sind, können zulasten des Steuerpflichtigen geändert werden. Das bedeutet Nachzahlungen und Verzinsungen. Ferner kann es zu einer Vorsteuerberichtigung kommen. Bei aufs Dach montierten PV-Anlagen beträgt der Berichtigungszeitraum fünf Jahre und bei ins Dach integrierten Anlagen zehn Jahre.

Im Fall von Dr. Köhler hält Stoidis-Connemann den Gegenstandswert, der sich an den jeweiligen Einnahmen orientiert und den der Steuerberater für seine Honorarberechnung angesetzt hat, für zulässig und im Rahmen. „Es kommt auf das Entgegenkommen des Steuerberaters an, ob er auch Teile des Praxisumsatzes in das Honorar einfließen lassen möchte“, ergänzt Dr. Schauer. „Wir handhaben es so, dass sich die Umsatzsteuererklärung dann lediglich auf die PV-Anlage beschränkt.“ Stoidis-Connemann rät zudem dem Arzt, zu prüfen, ob er bei so geringen Einnahmen die PV-Anlage nach einer gewissen Zeit nicht als „Liebhaberei“ betreiben möchte. Dann würde keine Einkommensteuer mehr anfallen.

Medical-Tribune-Bericht