Beim benignen Prostatasyndrom gehen Fakten und Mythen durcheinander
Das benigne Prostatasyndrom, kurz BPS, ist die vierthäufigste Erkrankung des Mannes ab fünfzig. Es sei daher für die Urologen geboten, sich auf den aktuellen Stand des Wissens zu bringen, meinen Professor Dr. Dr. Matthias Oelke, Oberarzt der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urologische Onkologie im St. Antonius Hospital Gronau, und Kollegen. „Überholte Vorstellungen zum BPS halten sich trotz gegenteiliger Evidenzlage unverändert über viele Jahre bis Jahrzehnte hartnäckig“, lautet das Fazit der drei Urologen. Sie haben etliche Mythen und Irrtümer ausgemacht, die ihrer Meinung nach dringend einer Korrektur bedürften.
Ein großes Volumen bedeutet noch keine Auslassobstruktion
Das fange bei der Größe des Organs an: Gelehrt werde oft immer noch, dass man sich die Prostata beim jungen, gesunden Mann mit rund 20 cm3 ungefähr in den Ausmaßen einer Kastanie vorzustellen habe. Doch das Volumen der Vorsteherdrüse könne – wie auch die Größe von Kastanien – individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Beim jungen Mann sei alles zwischen 8 cm3 und 40 cm3 als normal anzusehen. Eine eindeutige Vergrößerung liege erst vor, so die Autoren, wenn das Organ die Abmessung eines Golfballs überschreitet. Das ist ab circa 40 cm3 der Fall.
Dabei müsse eine große Prostata nicht zwangsläufig mit einer Blasenauslassobstruktion, einer BOO, einhergehen. Selbst bei massiver Vergrößerung der Drüse auf mehr als 100 cm3 ist in einem von zehn Fällen eine solche nicht gegeben. „Das Prostatavolumen besitzt keine sichere Beziehung zur BOO oder zum BOO-Grad“, stellen die Autoren klar. Auch Blasentrabekel, die bei der Zystoskopie auffallen, würden nicht als Beleg für eine BOO taugen. Nur die urodynamische Untersuchung könne klären, in welchem Zusammenhang Blasentrabekel und BOO stehen.
Auch mit dem Okklusionsgrad der Harnröhre, den man bei der Urethrozystoskopie optisch zu ermitteln versucht, sei beim individuellen Patienten keine sichere Aussage zur Blasenauslassobstruktion möglich. Für die Annahme, dass der erhöhte Detrusordruck bei Miktion und BOO zu Blasendivertikeln führt, existierten ebenfalls keine gesicherten wissenschaftlichen Belege.
Überhaupt: Wer bei dem BPS einen festen, chronologischen Verlauf erwartet, liegt falsch. Denn die Symptome und pathophysiologischen Veränderungen folgen nicht immer der erwarteten Reihenfolge, die mit der Vergrößerung der Drüse beginnt und über die Obstruktion hin zu den Symptomen des unteren Harntrakts (Lower Urinary Tract Symptoms, LUTS) reicht.
Ab 50 ist eine Restharnmenge bis 39 ml normal
Eine allgemeingültige Stadieneinteilung sei nicht ohne weiteres möglich, heißt es in dem Artikel, man müsse jeden Patienten individuell klassifizieren. Entgegen landläufiger Meinung muss eine erhöhte Restharnmenge nicht zwingend Anlass zur Sorge sein. Untersuchungen zeigten, so die Autoren, dass bei Männern über 50 Jahre ein Restbestand von 22 ml bis 39 ml normal sei, maximal bis zu 57 ml. Zudem ist die Ursache oft nicht die Obstruktion.
Bedeutsamer für den Ursprung des Restharns ist nach Ansicht der Experten eine mangelnde Aktivität des Detrusors, etwa wegen eines Diabetes mellitus, einer nervalen Störung oder infolge altersdedingter Veränderungen des Muskels.
Komplettresektion muss nicht sein
Auch eine erhöhte Rate an Infektionen sei durch den Überstand nicht zwangsläufig zu befürchten. Es fände sich auch kaum belastbare Evidenz dafür, dass bei hohen oder zunehmenden Restharnmengen im Verlauf des BPS ein Harnverhalt drohe, schreiben die Experten. Ähnliches gelte für Nierenfunktionsstörungen. So ließ sich in einer Untersuchung von 2741 BPS-Patienten nur bei 5,9 % eine Erhöhung des Serum-Kreatinins messen. Offensichtlich besteht also kein direkter Zusammenhang zwischen Restharn allein und einer Niereninsuffizienz.
Im Hinblick auf die Therapie gilt es laut Prof. Oelke und Kollegen, mit einem weiteren Mythos aufzuräumen: Die meisten Medikamente, die zu einer Organverkleinerung führen sollen, sind Placebos nicht überlegen. Nur Alpha-Blocker zeigen eine Verbesserung bei der entscheidenden Messgröße, dem Detrusordruck bei maximaler Harnausflussrate.
Den Operateuren geben die Autoren zum Schluss eines mit auf den Weg: Wer meint, er müsste das Adenom komplett bis zur Prostatakapsel entfernen, irrt. Denn auch für die Notwendigkeit einer „Komplettresektion“ als Voraussetzung für ein optimales Ergebnis existiere keine ausreichende Evidenz.
Quelle: Oelke M et al. Urologe 2019; 58: 271-283