Dampf von E-Zigaretten enthält nicht bloß Nikotin
Es mag ja etwas dran sein, dass die elektronischen Zigaretten unter bestimmten Umständen bei der Tabakentwöhnung helfen können. Aber harmlos sind die Verdampfer keinesfalls, stellen Ariane Lechasseur und Professor Dr. Mathieu C. Morisette von der Universität Laval in Quebec klar. In einer Übersichtsarbeit haben sie den aktuellen Stand des Wissens zum Thema zusammengetragen.
Die Hauptbestandteile der Flüssigkeiten, wie sie in den E-Zigaretten verdampft werden, sind Propylenglycol und Glycerin, erläutern die kanadischen Wissenschaftler. Beides dient dazu, Nikotin und die verschiedensten Aromastoffe in Lösung zu bringen. Heute wisse man, dass die Bestandteile der Liquids schon während der garantierten Haltbarkeitsdauer, vor allem aber während des Verdampfens miteinander reagieren. Dabei entstehen potenziell gesundheitsschädliche Substanzen: freie Radikale, Schwermetalle, Acrolein, Carbonylverbindungen, Formaldehyd, Acetaldehyd. Die meisten Neben-, Zwischen- und Endprodukte sind aber gänzlich unbekannt, merken die Autoren an. Und bei der großen Zahl kommerziell erhältlicher Liquids sei es nahezu unmöglich, alle beschreiben oder gar studieren zu wollen. In ihrem Review hätten sie sich daher auf die genannten chemischen Verbindungen beschränkt.
Propylenglycol beeinflusst die mukoziliäre Clearance
Aus In-vitro-Studien geht hervor, dass Propylenglycol- und Glycerindampf zytotoxische Effekte auf das Lungenepithel und andere Zellen haben könnten. Doch tierexperimentelle und klinische Studien lieferten keine Hinweise auf gravierende Lungenschäden oder einen Funktionsverlust des Organs. Zwar deuten einige In-vitro-Untersuchungen auf Entzündungsreaktionen hin. Doch den Daten aus tierexperimentellen und klinischen Studien zufolge scheinen weder inhaliertes Propylenglycol noch verdampftes Glycerin eine relevante inflammatorische Reaktion zu triggern.
Manche Ergebnisse sprechen dafür, dass die Funktion von Immunzellen leiden könnte. Propylenglycol beeinflusst zudem die mukoziliäre Clearance. Und beide Substanzen zeigen Effekte auf die Expression von Genen, die den zirkadianen Rhythmus der Lunge regulieren, was das Organ für Pathogene, Reizstoffe und Allergene empfänglicher machen dürfte.
Weitaus komplexer und deutlich schwieriger aufzuklären sind die Effekte der unzähligen Aromastoffe. Hierzu gibt fast nur In-vitro-Studien, kaum tierexperimentelle oder klinische Arbeiten. Aus den vorhandenen Daten könne man jedenfalls ableiten, dass die Aromen Zytotoxizität und Inflammation zu induzieren vermögen und Auswirkungen auf Immun- und Lungenfunktion zeigen, so die beiden Autoren.
Was Nikotin in der Lunge anrichtet, ist da schon um einiges besser untersucht. In-vitro-Ergebnisse dokumentieren zum Beispiel zytotoxische Effekte auf Lungenepithelzellen, zudem vermag das Alkaloid offenbar die Integrität der Epithelbarriere zu schwächen. Das gilt insbesondere in Kombination mit Aromastoffen wie Menthol. Aus Tierexperimenten hingegen gab es keine Hinweise für eine relevante Schädigung der Lunge durch das Nikotin. Doch eine frühe Exposition kann die Entwicklung des Organs beeinträchtigen. Klinische Studien fanden zwar keine nennenswerte Entzündungsreaktion, bestätigen aber immunmodulatorische Effekte und eine Störung der antimikrobiellen Funktion der Immunzellen.
Insgesamt sind die pulmonalen Effekte des Dampfens schwer einzelnen Bestandteilen der Liquids zuzuordnen. Doch alles in allem zeigen sich klare negative Effekte auf die Funktionsfähigkeit von Lungenepithelzellen in vitro, auf den Atemwegswiderstand und auf die Lungenentwicklung. Die Art der inflammatorischen Antwort bleibt unklar, da verschiedene tierexperimentelle Studien unklare Ergebnisse gebracht haben. Klar ist jedoch, dass die Abwehr von Bakterien und Viren eingeschränkt wird.
Andere schädliche Wirkung als durch den Tabakrauch
Die Verdampfer und die herkömmlichen Glimmstängel hätten nur noch den Namen Zigarette und das Nikotin gemein. Ansonsten gebe es zwischen den akkubetriebenen Geräten und dem Tabakrauchen nichts Verbindendes mehr, schreiben die Autoren. Sie warnen davor, die Schädlichkeit von E-Zigaretten nur an den vom Tabak her bekannten Effekten zu messen. Die Lungenhomöostase könnte durch die Liquids auf ganz andere Weise Schaden nehmen als durch den Tabakrauch, stellen sie klar. Wenn man den Blick nicht weiter fasse, bestehe die Gefahr, die E-Zigaretten vorschnell und ohne Grundlage als ungefährlicher einzustufen.
Quelle: Lechasseur A, Morisette MC. Eur Respir Rev 2020; 29: 200268; DOI: 10.1183/16000617.0268-2020