Feinstaub sorgt für doppelt so viele Tote wie angenommen
Schon wieder eine Hochrechnung zu Luftschadstoffen und Krankheiten, mag der ein oder andere jetzt denken. Diese aber ist anders. Und die Zahlen haben es in sich. Bisher gingen Professor Dr. Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und Kollegen davon aus, dass sich 4,55 Millionen der weltweiten Todesfälle im Jahr 2015 auf die Luftverschmutzung zurückführen lassen. Luftverschmutzung – darunter verstehen die Experten vor allem alveolengängigen Feinstaub, also Partikel ≤ 2,5 µm (PM2,5).
Rate in osteuropäischen Ländern besonders hoch
Mit einer umfangreicheren Datenbasis als zuvor kam das Team um den Mainzer Atmosphärenforscher nun auf 8,79 Millionen Fälle.¹ Pro 100 000 Menschen entspricht das 120 zusätzlichen Toten. Die Studie liefert auch regionale Zahlen:
- 133 Tote in Europa (pro 100 000 Einwohner und Jahr)
- 129 in den 28 EU-Mitgliedstaaten
- 154 in Deutschland
- > 200 in osteuropäischen Ländern wie Bulgarien, Kroatien, Ukraine
Insgesamt betrifft die Übersterblichkeit in Europa 790 000 Personen jährlich. In der EU stieg die Zahl im Vergleich zu älteren Schätzungen von 263 000 auf 659 000. Feinstaubbedingt sinkt demnach auch die durchschnittliche Lebenserwartung, hierzulande um 2,4 Jahre.
Grenzwerte aus aller Welt
- empfohlene jährliche Höchstmenge für PM2,5 der WHO: 10 µg/m³
- EU-Grenzwert: 25 µg/m³
- USA: 12 µg/m³
- Kanada: 10 µg/m³
- Australien: 8 µg/m³
Schätzungen zufolge fordert die Luftverschmutzung in Europa jährlich 790 000 Opfer. Mindestens 48 % dieser Exzess-Todesfälle ereignen sich bei Menschen mit kardiovaskulären Leiden (koronare Ischämie, Schlaganfall und andere nicht-übertragbare Krankheiten wie PAVK). 20 % fallen auf pulmonale Ursachen. Die größten Feinstaub-Schleudern finden sich in Industrie, Landwirtschaft und Verkehr.
Die sichere Schwelle liegt bei 2–3 µg/m³
Gründe für die europaweit hohe Zahl an Todesfällen pro 100 000 Einwohnern sehen die Autoren in der Kombination aus schlechter Luftqualität und hoher Bevölkerungsdichte. Dass Feinstaub tatsächlich ein Gesundheitsrisiko birgt, kommt in Leitlinien zu kurz, bemängeln sie. Zumal die Luftverschmutzung gefährlicher sein könnte als Tabakrauchen. Der derzeitige Grenzwert der EU liegt wohl noch zu hoch. Sogar die von der WHO angestrebten maximalen 10 µg/m³ übersteigen die sichere Schwelle von 2–3 µg/m³. In einer Pressemitteilung bekräftigen Prof. Lelieveld und Mitautor Professor Dr. Thomas Münzel, Universitätsmedizin Mainz, die Forderungen, die sich aus ihrer Studie ergeben:²- PM2,5-Emission deutlich unter 10 µg/m³ senken
- fossile Brennstoffe durch saubere, erneuerbare Energien ersetzen
- Emission aus der Landwirtschaft begrenzen
Quellen:
¹ Lelieveld J et al. Eur Heart J 2019; online first
² Pressemitteilung der European Society of Cardiology vom 12.03.2019
³ Pressemitteilung des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung vom 04.02.2019
Medical-Tribune-Bericht