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Multiple Sklerose: Bedarf an symptomatischer Behandlung wird häufig ignoriert

Eine Auswertung des bundesweiten Multiple-Sklerose-Registers gibt einen aktuellen Überblick über die Situation der MS-Kranken in unserem Land. Die Daten stammen von mehr als 18 000 Betroffenen und decken den Zeitraum der Jahre 2014 bis 2018 ab. Damit sind zwar nur etwa 7 % aller MS-Patienten in Deutschland berücksichtigt, schreibt das Autorenteam um Professor Dr. Peter Flachenecker vom Neurologischen Rehabilitationszentrum in Bad Wildbad. Durch die hohe Zahl der Kliniken und neurologischen Praxen, die die Zahlen beigesteuert haben, gilt die Analyse dennoch als repräsentativ für unser Land.
Die ersten Symptome der Multiplen Sklerose treten der Datenauswertung zufolge meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf, in rund 10 % der Fälle schon früher. Vom Beginn der Beschwerden bis zur Diagnose vergehen hierzulande im Schnitt zweieinhalb Jahre, manchmal sind es mehr als sieben. Auffällig ist der Rückgang der sekundär progredienten Multiplen Sklerose im Vergleich zur letztmaligen Auswertung der Registerdaten im Jahr 2008. Außerdem scheinen die Patienten durch ihre Erkrankung nicht mehr so stark eingeschränkt zu sein. Beide Beobachtungen sprechen dafür, dass die Multiple Sklerose heute einen günstigeren Verlauf nimmt als noch vor zehn Jahren. Die Autoren führen diese Entwicklung auf den häufigeren Einsatz langfristig verlaufsmodifizierender Medikamente zurück.
Anteil der erwerbstätigen MS-Patienten ist gestiegen
In Übereinstimmung mit dem verringerten Behinderungsgrad und dem vermehrten Anteil schubförmiger Erkrankungen hat sich das Symptombild verändert: Spastik, Ataxie und Schmerzen sowie Blasen- und Darmstörungen werden wesentlich seltener dokumentiert als noch eine Dekade zuvor, ebenso Depressionen, kognitive Veränderungen und Fatigue. Die rasche Ermüdbarkeit ist mit einem Anteil von 52 % der Erkrankten aber nach wie vor das häufigste Symptom der MS.
Positiv bewerten die Autoren den auf 38 % gestiegenen Anteil der in Vollzeit beschäftigten MS-Patienten. Eine vollständige Erwerbsminderungsrente beziehen nur 23 %. Dabei fällt auf, dass ein knappes Drittel dieser Frührentner in ihrer Gehfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Offenbar spielen andere Symptome wie Fatigue und kognitive Beeinträchtigung eine wichtige Rolle.
Immunmodulatoren sind inzwischen Standard
Der Großteil der MS-Patienten wird mit immunmodulatorischen Substanzen behandelt, etwa mit Interferon-β-Präparaten und Glatirameracetat. Daneben dominieren bei leichten bis mittelschweren Verläufen Dimethylfumarat und Teriflunomid. Bei aktiver bis hochaktiver Multipler Sklerose kommen vor allem Fingolimod und Natalizumab zum Einsatz. Mittel der zweiten Wahl wie Azathioprin, intravenöse Immunglobuline und Steroide als Pulstherapie werden nur noch selten gegeben.
Klare Defizite sehen Prof. Flachenecker und seine Kollegen bei den symptomatischen Therapiemaßnahmen. Nach wie vor erfahren Störungen der Blasen- und Darmfunktion bei rund der Hälfte der davon betroffenen Patienten zu wenig ärztliche Aufmerksamkeit. Mehr als 70 % der Kranken bekommen bei Fatigue und kognitiven Störungen keine gezielte Therapie, merken die Autoren an. Und das ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Behandlung großen Einfluss auf ihre Leistungsfähigkeit und Lebensqualität hätte.
Quelle: Flachenecker P et al. Fortschr Neurol Psychiatr 2020; 88: 436-450; DOI: 10.1055/a-0985-4124
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