Hydroxychloroquin: Vom alten Malariamittel zur COVID-19-Wunderwaffe und zurück

DGIM 2021 Autor: Dr. Angelika Bischoff

Der kurze Höhenflug von Hydroxychloroquin. Der kurze Höhenflug von Hydroxychloroquin. © iStock/TheaDesign

In der Pandemie werden Studien oft mit heißer Nadel gestrickt, um rasch Resultate zu bekommen. Wissenschaftler wollen sich profilieren, die Politik macht entsprechenden Druck. Da passiert es leicht, dass Hoffnungen erst geschürt und dann massiv enttäuscht werden.

Den steilen Aufstieg und Fall eines COVID-19-Medikaments und die Interaktionen von Wissenschaft, Politik und Medien machte Dr. Till Koch vom Zentrum für Innere Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf am Beispiel von Hydroxychloroquin (HCQ) deutlich.

Zündfunke für die neue Karriere des alten Anti-Malariamittels war eine Studie, die im März 2020 publiziert wurde. Sie zeigte in einer Zelllinie eine deutliche antivirale Aktivität von HCQ gegen SARS-CoV-2. Die in den Versuchen genutzte relativ hohe Dosierung wurde später auch in klinischen Studien eingesetzt, berichtete der Kollege: Patienten erhielten eine Loading-Dose von 2x 400 mg/d, anschließend über vier Tage eine Erhaltungsdosis von 2x 200 mg/d.

Den Kliniker reißen Beobachtungen in Zelllinien nicht unbedingt vom Hocker, weil unzählige Substanzen die Replikation von Viren in der Kultur hemmen können, sagte Dr. Koch. Doch noch im selben Monat wurden die Hoffnungen auf ein wirksames Corona-Medikament durch eine offene klinische Studie aus der Gruppe um den französischen Infektiologen Didier Raoult genährt. In ihr führte HCQ in Kombination mit Azithromycin bei 70 %  der damit behandelten Coronapatienten innerhalb von sechs Tagen zur Virusfreiheit. Von den unbehandelten Kontrollen erreichten dagegen nur 12,5% dieses Ziel. Hydroxychloroquin alleine war etwas schwächer wirksam. Heute weiß man, dass die Senkung der Viruslast nichts über den Verlauf der Erkrankung aussagt, betonte Dr. Koch. Seine Kritik: Um seine Ergebnisse bekannt zu machen und vor allem sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, nutzte Didier Raoult geschickt alle Medienkanäle. Sogar Präsident Macron stattete seinem Labor einen Besuch ab.

Hype angetrieben durch Politik und Medien

Auch in den USA wurde Hydroxychloroquin gehypt. Der TV-Sender Fox News lud den angeblichen Berater der Stanford University School of Medicine, Gregory Rigano, zum Gespräch, das am 13. März 2020 stattfand. Grund dafür war, dass Rigano zusammen mit James Todaro ein Paper bei docs.google.com online gestellt hatte, in dem über HCT als effektives COVID-19-Therapeutikum berichtet wurde. Dass Gregory Rigano nicht einmal Mediziner ist, sondern Jurist, kam erst später heraus.

Das Paper fand aber nicht nur breite Resonanz, weil Fox News das Gespräch mit Rigano ausstrahlte, sondern auch, weil der Tesla-Chef Elon Musk den Artikel seinen Twitter-Followern ans Herz legte. Außerdem interessierte sich plötzlich ein anderer großer Twitterer, Donald Trump, für diese Therapie. Er sprach in einem seiner damals täglich stattfindenden Pressebriefings von einer sehr, sehr ermutigenden Studie. Dies führte nicht zum ersten Mal zum Streit mit Anthony Fauci, Leiter des Nationalen Institut für Allergien und Infektionskrankheiten, der zur Vorsicht mahnte. Trump war jedoch von dem Mittel so begeistert, dass er es für eine Weile selbst prophylaktisch einnahm.

Nicht zuletzt auf Druck des amerikanischen Präsidenten ließ sich die FDA dazu bewegen, HCQ eine Notfallzulassung zu erteilen. Das wiederum stimulierte das wissenschaftliche Interesse, die Substanz in der COVID-19-Therapie bei ambulanten und hospitalisierten Patienten sowie in der Prophylaxe in Studien zu untersuchen, und auf die anfängliche Euphorie folgte die Ernüchterung. Es stellte sich nämlich immer klarer heraus, dass HCQ weder einen schweren Verlauf von COVID-19 verhindern noch abmildern kann.

Vermehrte Aufmerksamkeit erhielten zudem die Nebeneffekte, insbesondere die QT-Zeit-Verlängerung, die sich bei mehr als 10 % der mit HCQ behandelten Patienten nachweisen ließ. Das BfArM gab am 2. Juni 2020 eine entsprechende Warnung heraus.

Und es gab weitere Sargnägel für die HCQ-Therapie, wie Dr. Koch darlegte. Die Studie RECOVERY fand bei hospitalisierten COVID-19-Patienten, die mit HCQ behandelt wurden, eine etwas höhere 28-Tage-Mortalität als bei denjenigen unter Standardtherapie. In einer weiteren großen Untersuchung stoppte die WHO den HCQ-Arm. Mitte Juni 2020 widerrief die FDA die Zulassung von HCQ. Damit war dessen Karriere als COVID-19-Wunderwaffe beendet.

Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)