Schadstoffbelastung und Hitze Deutlich unterschätzte Herzensbrecher

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Die Umweltverschmutzung hat auch das Herz fest im Griff. Die Umweltverschmutzung hat auch das Herz fest im Griff. © Popmarleo – stock.adobe.com

Individuelle Risikofaktoren zu berücksichtigen hat die Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich verbessert. Zu wenig beachtet werden dagegen immer noch Umweltverschmutzung und Klimawandel als Treiber von kardiovaskulär bedingter Morbidität und ­Mortalität.

Schätzungen zufolge gingen im Jahr 2019 neun Millionen Todesfälle weltweit auf das Konto von Umweltverschmutzung – der Großteil (61,9 %) war kardiovaskulär bedingt. Und diese enorme Zahl ist eher untertrieben, denn sie berücksichtigt nur Teilaspekte, so Dr. Sanjay Rajagopalan vom University Hospital Cleveland und Prof. Dr. Philip Landrigan vom Program for Global Public Health and the Common Good am Boston College. Trotzdem spielen Umweltfaktoren in Programmen und Leitlinien zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen kaum eine Rolle, wundern sich die Kollegen.

Je mehr Feinstaub, desto höher das Risiko

Eine hohe Feinstaubbelastung kann bereits bei kurzzeitiger Exposition von wenigen Stunden oder Tagen Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. So erhöht sich das Risiko für diese Ereignisse um bis zu 1 % je Anstieg der Konzentration an Feinstaub­partikeln (< 2,5 µm) in der Atmosphäre um 10 µg/mm3. Bei längerer Exposition (1–5 Jahre) steigt die Mortalität aufgrund von KHK in prospektiven Kohortenstudien um 16–31 % pro 10 µg/mm3. Eine Metaanalyse legt zudem nahe, dass jede Zunahme der Feinstaubbelastung in dieser Größenordnung das Risiko für Hospitalisierung und Tod aufgrund von Herzversagen um 2,12 % erhöht. Auch besteht ein Kausalzusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und kardiovaskulären Risikofaktoren – allen voran Hypertonie und Diabetes.

Verschärft wird diese Problematik durch den Klimawandel: Hohe Temperaturen begünstigen nicht nur die Bildung von bodennahem Ozon, sondern auch Flächenbrände und Sandstürme. Durch diese „Natur­ereignisse“ wird mehr Feinstaub freigesetzt, der wiederum das kardio­vaskuläre Risiko erhöht. Bei großer Hitze steigt außerdem der Strombedarf, was zur vermehrten Verbrennung fossiler Brennstoffe und somit zu noch mehr Luftverschmutzung führt. Zudem sind Temperaturschwankungen und -extreme per se mit einer erhöhten Sterblichkeit durch Schlaganfälle und Herzinfarkte assoziiert.

Neben der Luftverschmutzung stellen auch Schwermetalle (z.B. Blei) und potenziell toxische chemische Verbindungen wie halogenierte Kohlenwasserstoffe, die über das Grundwasser oder die Nahrungskette in den menschlichen Organismus gelangen, eine Bedrohung für die Gesundheit dar. Die Indizien häufen sich, dass diese Schadstoffe einen stärkeren negativen Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System haben als bislang vermutet. So deuten aktuelle Untersuchungen darauf hin, dass Blei bereits ab einem Blutspiegel von < 3 µg/dl mit einer höheren kardiovaskulären Mortalität in Verbindung steht. Bislang ging man davon aus, dass die toxischen Effekte bei Konzentrationen < 40 µg/dl vernachlässigbar sind.

Besonders gefährdete Gruppen

  • Ein sehr hohes Risiko, durch Umweltbelastungen Schaden zu nehmen, haben Patienten mit atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankungen (ASCVD), die kürzlich wegen eines akuten Koronarsyndroms, Herzinsuffizienz, COPD oder Asthma hospitalisiert waren.
  • Ein hohes Risiko besteht für Patienten mit etablierter ASCVD (10-Jahres-Risiko > 20 %), Diabetes oder chronischer Nierenerkrankung (Stadium 3 oder 4) und mindestens einem weiteren Risikofaktor.
  • Ein Risiko aufgrund demografischer Merkmale besteht für Schwangere, ältere Menschen und Organtransplantierte.

Bei jedem Patienten die Umweltbelastung ermitteln

Ärztinnen und Ärzte können im Praxisalltag unmittelbar zur Prävention von Umweltverschmutzung bzw. den damit einhergehenden kardio­vaskulären Risiken beitragen, so die Autoren. Sie sollten bei ihren Patienten die individuelle Exposition und Anfälligkeit gegenüber Umweltverschmutzung ermitteln und Betroffene hinsichtlich Vermeidung und Selbstschutz beraten. Folgende Empfehlungen können dabei hilfreich sein:
  • an Tagen mit schlechter Luftqualität möglichst wenig Sport im Freien treiben
  • Gefahrstoffexposition am Arbeitsplatz reduzieren
  • Quellen für Luftschadstoffe im Haushalt vermeiden (z.B. Gas­ofen, Kamin, Raumdüfte, Räucherwerk)
  • N95-Masken und Luftreiniger nutzen
  • Arbeitswege mit weniger Verkehr wählen
  • Regionen mit starker Verschmutzung umgehen
Um die Zahl der durch Umweltverschmutzung bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachhaltig zu senken, genügt es aber nicht, nur individuelle Verhaltensweisen zu ändern. Auch öffentliche Maßnahmen wie ein rascher, staatlich geförderter Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energieformen müssen ergriffen werden. Dabei können auch Mediziner ihren Einfluss geltend machen, indem sie Entscheidungsträger auf die gut dokumentierten Zusammenhänge zwischen Umweltverschmutzung, Klimawandel und menschlicher Gesundheit hinweisen.

Quelle: Rajagopalan S, Landrigan PJ. N Engl J Med 2021; 385: 1881-1892; DOI: 10.1056/NEJMra2030281