Diabetestechnologie im Krankenhaus: Rechtliche, organisatorische und technische Hürden erschweren den Einsatz

Autor: Prof. Dr. Lutz Heinemann

Geht es um die Nutzung von Diabetestechnologie auf normalen Stationen oder auf der Intensivstation? Geht es um die Nutzung von Diabetestechnologie auf normalen Stationen oder auf der Intensivstation? © iStock.com/AndreyPopov

Die Nutzung von Diabetestechnologie im Krankenhaus ist ein bisher wenig beachtetes Thema, insbesondere in Deutschland. Dabei gibt es hierbei viele Aspekte, die berücksichtigt werden müssen.

Beim diesjährigen Diabetes Technology Meeting bei Washington beschäftigte sich ein Workshop mit dem Einsatz von Diabetes-Technologie im Krankenhaus. Beim Einsatz von Diabetestechnologie im Krankenhaus gilt es zu unterscheiden: Geht es um die Nutzung von Diabetestechnologie auf normalen Stationen (bei denen es vielfach um andere Indikationen geht als Diabetes) oder auf der Intensivstation? Kommen die Patienten z.B. wegen eines orthopädischen Pro­blems auf eine entsprechende Station, gibt es dort vielfach eher wenig Know-how sowohl des pflegerischen Personals wie auch des ärztlichen Personals zu Diabetestechnologie.

Die Nutzung von z.B. Systemen für das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) im Krankenhaus stellt eine andere Situation dar als der Einsatz solcher Systeme durch Patienten im Alltag zur Verlaufskontrolle, insbesondere in rechtlicher Hinsicht. So sind viele Diabetes-Technologie-Systeme für den Einsatz im Krankenhaus nicht zugelassen. Die im Krankenhaus verwendeten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (z.B. CT oder MRT) können einen massiven Einfluss auf die Funktion der verwendeten Diabetestechnologie-Systeme haben. Während Operationen gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die einen Einfluss auf die Funktion von Diabetestechnologie -Systemen haben können.

Diese Faktoren tragen vermutlich dazu bei, dass vielen Patienten mit Diabetes (insbesondere solchen mit Typ-1-Diabetes) nach der Aufnahme ins Krankenhaus entsprechende Systeme (wie CGM-Geräte oder Insulinpumpen) schlicht weggenommen werden. Nicht jeder Patient ist in dieser Situation in der Lage, mit dem Krankenhaus-Personal dazu entsprechend zu kommunizieren.

Geräte benötigen spezielle Krankenhaus-Zulassung

Nur wenige Geräte zur Blutglukosemessung haben eine spezielle Zulassung der FDA für die Nutzung im Krankenhaus. Dies gilt auch für Europa und damit Deutschland – eigentlich werden diese Geräte „off label“ verwendet. Im Krankenhaus dürfen in Deutschland nur qualitätsgesicherte Geräte verwendet werden, d.h. die Messgüte von Blutglukosemessgeräten muss nach den Richtlinien der Bundesärztekammer überwacht werden. Für solche Geräte gibt es eine ISO-Norm zur Evaluierung ihrer Messgüte; derartige Standards fehlen bisher bei CGM-Systemen. Daher ist der Einsatz von CGM-Systemen im Krankenhaus nicht zulässig, da die zuverlässige Funktion dieser Systeme nicht überprüft werden kann, insbesondere eben in Hinsicht auf die Einhaltung von Vorgaben zur Messgüte.

Patienten sind an die Nutzung ihrer Systeme gewöhnt

Viele Patienten mit Typ-1-Diabetes nutzen heute regelmäßig real-time (rt) oder intermittent scanning (isc) CGM-Systeme für ihre Glukose-Verlaufskontrolle; sie kommen also mit solchen Systemen ins Krankenhaus und wollen diese dort weiter verwenden. Weiterhin kommen Eltern mit ihren Kindern in das Krankenhaus, die standardmäßig ein iscCGM-System nutzen. Da hierbei keine Blutglukosemessungen notwendig sind, mussten sich diese Kinder vermutlich noch nie in den Finger stechen! Da die Eltern nicht wollen, dass sich ihre Kinder stechen müssen, hat es wohl Fälle gegeben, wo diese mit den Kinder das Krankenhaus wieder verlassen haben. Es gilt hier ein Dilemma zu konstatieren: Die Rahmenbedingungen im Krankenhaus kollidieren in verschiedener Hinsicht mit der Patientenrealität.

Wenn die Patienten auf einer Station liegen, dann ergeben sich folgende Fragen:

  • Wer trifft die Therapieentscheidungen basierend auf CGM-Daten, wenn der Patient dies nicht selber kann?
  • Werden die CGM-Systeme adäquat gehandhabt? In Anbetracht des Pflegenotstandes in Krankenhäusern keine triviale Frage.
  • Wann gilt es, den Einsatz von CGM-Systemen zu stoppen, z.B. vor Operationen oder Untersuchungen?
  • Wie können die Daten von CGM-Systemen in die Datenstruktur des Krankenhauses integriert werden?

Im Endeffekt stellt sich die Frage: Kommt es durch den Einsatz von CGM-Systemen im Krankenhaus auf Nicht-Intensivstationen zu einer Verbesserung der Glukosekontrolle oder nicht? Dazu gibt es wohl nur wenige Studien.

Veränderte Messung

Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die einen relevanten Einfluss auf die Güte der Blutglukosemessung im KH haben können (diese gelten zum Teil auch für Messungen mit CGM-Systemen, insbesondere bei Nutzung auf Intensivstationen):
  • Eingeschränkter/geänderter Blutfluss in Kapillaren in der Haut/im subkutanen Gewebe
  • Interferenzen durch Medikamente, pH-Verschiebungen, erhöhte Werte an anderen Substanzen, erhöhte Flüssigkeitszufuhr
  • Präanalytische Handhabung der kapillären Blutproben
  • Handhabung der Blutglukosemessung durch KH-Personal oder Patienten
  • Desinfektion von Geräten/der Haut der Patienten vor der Blutgewinnung bei kapillären Blutentnahmen
  • Verwendete Referenzmethoden
Zu diesen Faktoren gab es bei den weiteren Vorträgen einige Anmerkungen: In den USA ergibt sich aktuell die Problematik, dass die FDA bisher ein bestimmtes Laborgerät (YSI 2300) als Referenzmethode für klinische Studien mit Blutglukosegeräten (und CGM-Systemen) betrachtet hat. Deshalb wurde dieses deutlich veraltete Gerät immer noch vielfach verwendet. Nun wird dieses Gerät aber vom Hersteller nicht mehr weiter unterstützt, es kann also bei Studien nicht mehr eingesetzt werden. Allerdings wurde das Nachfolgegerät (YSI 2900) bisher nicht von der FDA zugelassen. Es gibt anscheinend wenig Literatur zum Thema Interferenzen für Blutglukosemessung in der Intensivstation, d.h. kaum Daten von klinischen Studien. In einer aktuellen US-Studie wurden eher geringfügige Effekte von z.B. blutdrucksenkenden Medikamenten beobachtet, aber sehr wohl ein Einfluss des Flüssigkeitsstatus der Patienten.

Drahtlose Übertragung ist auf der Intensivstation kritisch

Zur Nutzung von CGM-Systemen auf der Intensivstation in Hinsicht auf eine Verbesserung der Glukosekontrolle gibt es zwar eine Reihe von klinischen Studien, allerdings mit recht gegensätzlichen Aussagen zur Bedeutung einer strengen, nahe-normoglykämischen Kontrolle unter solchen Bedingungen. Viele dieser Studien wurden allerdings mit eher wenigen Patienten durchgeführt, fokussierten mehr auf Genauigkeit der CGM-Messungen mit den verschiedenen Systemen als darauf, welche positiven Ergebnisse sich bei den Patienten im Endeffekt ergeben. Zu den schon angesprochenen technischen Problemen bei der Glukosemessung im Krankenhaus kommen auf einer Intensivstation weitere Aspekte: So übertragen handelsübliche rtCGM-Systeme die Daten drahtlos auf einen Empfänger. Auf der Intensivstation muss ausgeschlossen sein, dass es dabei zu Wechselwirkungen mit anderen, teils lebenserhaltenden Geräten kommt. Deshalb bedarf es einer gesonderten Zulassung, die keines der Systeme hat. Es gab verschiedene Bemühungen, spezielle (deutlich teurere) CGM-Systeme für die Intensivstation zu entwickeln. Diese kamen erst gar nicht auf den Markt oder wurden zurückgezogen, da sich diese Entwicklungen nicht behaupten konnten. Eine bei diesem Workshop vorgestellte größere, auf den „Outcome“-fokussierte randomisierte Studie, die aktuell in der Mayo-Klinik gestartet wurde, untersuchte den Einfluss von CGM auf die Mortalität, Dauer des Krankenhaus-Aufenthaltes, die Anzahl von hypo- und hyperglykämischen Episoden und die damit verbundenen Kosten. Diese Studie stellt eine gewisse Wiederholung der NICE-SUGAR-Studie mit aktuellen CGM-Systemen dar. Untersucht wird eine große Anzahl von Patienten mit automatischem Datentransfer der CGM-Ergebnisse. Wichtig ist bei solchen Studien eine geeignete Schulung des Personals, adäquate Patientenauswahl und Anpassung der IT-Struktur des Krankenhaus. Nur dann ist „Glucometry“ (Kunstwort aus Glukose und Telemetrie) möglich, d.h. die automatische Datenübertragung der Glukosewerte vom Bett des Patienten an eine zentrale Stelle, wo sie von Krankenschwestern bzw. speziell trainiertem Fachpersonal angesehen werden. Die Menge an verfügbaren Daten hilft, die Entwicklungen in der Glukosekontrolle einzuschätzen und adäquat zu reagieren. Bei einer bereits publizierten Pilot-Studie mit diesem System (Dexcom G4® CGM-System) wurden bei fünf Patienten mit Typ-2-Diabetes auf einer normalen Station die CGM-Alarme auf < 85 mg/dl gesetzt. Während der viertägigen Beobachtungsdauer lagen die Patienten zu 65 % der Zeit im Glukosezielbereich von 70–179 mg/dl und nur 0,3 % der Zeit bei < 70 mg/dl. Kein Patient wies Werte < 54 mg/dl auf.

AID-Systeme könnten Klinikalltag erleichtern

Die rasche Weiterentwicklung von Diabetestechnologie macht auch vor den Krankenhäusern nicht halt, d.h. die Zusammenschaltung von CGM-Systemen mit Insulinpumpen unter Einsatz von Algorithmen im Sinne einer „Automatischen Insulin-Dosierung“ (AID) führt zu einer nachweislichen Verbesserung der Glukosekontrolle. Die Schwierigkeiten, die bei der Nutzung von Insulinpumpen im Krankenhaus auftreten können, wurden bei einem anderen Vortrag beleuchtet, darauf wird hier nicht weiter eingegangen. Nachdem nun das erste (Hybrid)AID-System eine CE-Markierung bekommen hat, werden solche Systeme von Patienten unter Alltagsbedingungen genutzt, d.h. Patienten werden über kurz oder lang mit solchen Systemen ins Krankenhaus kommen. Es kann aber auch Sinn machen, dass im Krankenhaus AID-Systeme (z.B. in der Intensivstation) generell bei Patienten mit Diabetes (oder einer gestörten Glukosekontrolle) eingesetzt werden, um eine bessere Stoffwechselkontrolle bei mehr Patienten zu erreichen, bei gleichzeitig verringertem Betreuungsaufwand für das Krankenhaus-Personal. Professor Dr. Roman Hovorka, Abteilung für Pädiatrie, Universität Cambridge, präsentierte Daten einer aktuellen Studie mit Patienten aus normalen Krankenhaus-Stationen, die im Lancet publiziert wurde. Bei dieser Studie wurde eine ziemliche Bandbreite von insgesamt 40 Patienten eingeschlossen, sowohl in Hinsicht auf die eigentliche Erkrankung, wegen der sie im Krankenhaus behandelt wurden, wie auch in Bezug auf Komorbiditäten. Für das AID-System wurde ein Eigenbau verwendet, der für die Bedingungen im Krankenhaus optimiert wurde. So stammte der Glukosesensor von einem älteren CGM-System (Freestyle-Navigator-II-System von Abbott, der den gleichen Glukose-Sensor verwendet wie deren iscCGM-System), welches kaum Interferenzen mit Medikamenten aufweist. Es wurde ein „Fully-Closed-Loop“-System verwendet, daher erfolgte hierüber auch die Insulinabdeckung bei Mahlzeiten, ohne Ankündigung der Mahlzeiten. Die von dem System applizierten Insulindosierungen während der bis zu 15-tägigen Studienteilnahme der Patienten waren teilweise beachtlich hoch, es wurde aber auch eine deutliche Verbesserung in der Glukosekontrolle erreicht, sowohl im Einzelfall wie auch im Mittel. So wurden vielfach 10–20 Einheiten pro Stunde infundiert, in Einzelfällen auch mehr (bis zu 70 E). Dies ist ein Ausdruck dafür, wie hoch die Insulinresistenz bei solchen Patienten sein kann, wobei diese sich dann noch relativ rasch ändern kann. Der Dosierungsalgorithmus muss mit solchen extremen Anforderungen adäquat umgehen können. Bei der Häufigkeit von Hypoglykämien wurden keine Unterschiede mit oder ohne AID-System beobachtet: Es traten weder schwere Hypoglykämien noch diabetische Ketoazidosen auf. Die Subgruppenauswertung zeigte noch deutlichere Vorteile bei Patienten mit einer Hämodialyse – die stärkste Verbesserung, die der Referent nach nach eigener Aussage je gesehen hat! Bei den untersuchten 19 Patienten stieg die Zeit im Zielbereich um ca. 9,3 Stunden pro Tag an, eine Zunahme von über 30 %. Eine ältere Studie mit 40 Patienten, die parenteral ernährt wurden, zeigte ebenfalls eine deutliche Verbesserung in der Glukosekontrolle.

Kompatibilität von Daten und Systemen

Ein mehrfach angesprochenes schwieriges Thema ist die Handhabung von Daten im Krankenhaus. Zum einen müssen die Hersteller von Diabetestechnologie -Systemen auf diese Aspekte achten, zum anderen müssen die Krankenhäuser sich auf neue und andere Anforderungen einstellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, wie die Arbeitsabläufe mit einem gegebenen System aussehen, was dessen technische Möglichkeiten sind und wie diese in die anderen Strukturen im Krankenhausimplementiert werden. Während die Hersteller von Diabetestechnologie-Systemen ihre Daten gerne in die Informationssysteme der Krankenhäuser einspielen wollen und auch bereit sind, dafür etwas zu tun, blockieren die Krankenhäuser zum Teil wohl eher und sind nicht bereit zu schauen, was machbar ist. Es gibt wohl Blutglukosemessgeräte, die auch in dieser Hinsicht für den Einsatz im Krankenhaus optimiert wurden. Wichtig ist auch hier eine adäquate Schulung des Nutzers – dieser muss verstehen, warum er was macht!

Bedingungen für den Klinikeinsatz schaffen

Der Einsatz von Diabetestechnologie im Krankenhaus ist deshalb von Bedeutung, weil er das Therapieziel – Erreichen einer guten Glukosekontrolle mit Vermeidung von starken Glukoseschwankungen – auch unter diesen Bedingungen deutlich erleichtert. Das mangelnde Wissen im Krankenhaus hierzu, insbesondere beim Personal, ruft nach gezielter Weiterbildung (auch nach Aufnahme in entsprechende Schulungs- und Fortbildungsaktivitäten der DDG). Die Hersteller können solche Entwicklungen durch ihre eigenen Möglichkeiten geeignet unterstützen. Bisher gibt es aber anscheinend eher wenig an Kommunikation zwischen den Krankenhäusern und der Fachgesellschaft. Da beim Einsatz von Diabetes-Technologie eine Vielzahl von Daten anfällt, geht es gerade im Krankenhaus auch um Aspekte wie Datenschutz, Datensicherheit und Cybersecurity. Eine nicht zu vernachlässigende Hürde im Krankenhaus sind die Beschaffungsabteilungen, d.h. deren Prozesse und Strukturen sind deutlich anders als diejenigen in Diabetes-Schwerpunktpraxen; so wollen Krankenhäuser langfristige und verifizierte Beziehungen zu ihren Lieferanten haben. Auch die Frage nach der Kostenerstattung ist komplex. Insgesamt ist dies ein Thema, welches auch bei den Jahrestagungen der DDG in eigenen Symposien diskutiert werden sollte. Aktuell erstellt die AG Diabetes & Technologie eine Stellungnahme zum Einsatz von CGM-Systemen im Krankenhaus.

Quelle: 18th Annual Diabetes Technology Meeting, Bethesda