Antikörpertherapie der Alzheimerdemenz kann nicht voll überzeugen

Friederike Klein

Antikörper gegen das Vergessen: Gegenwind auf den letzten Metern? Antikörper gegen das Vergessen: Gegenwind auf den letzten Metern? © ilusmedical – stock.adobe.com

Ausgehend von der Amyloidhypothese tüfteln Wissenschaftler an verschiedenen Antikörpern, die in den pathophysiologischen Prozess der Alzheimerdemenz eingreifen sollen. Einer von ihnen steht in den USA möglicherweise kurz vor der Zulassung.

Am 5. November signalisierte die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA, dass sie gute Chancen für ein „Go“ von Aducanumab sieht – und die Aktienkurse des herstellenden Unternehmens schnellten nach oben, berichtete Professor Dr. Mathias­ Jucker­ vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Die Anhörung am nächsten Tag ging über sieben Stunden und offenbarte ein sehr viel gemischteres Bild, ergänzte der Neurobiologe. Denn während man in einer Zulassungsstudie zu positiven Ergebnissen gekommen war, blieb Aducanumab in der zweiten ohne nennenswerten Effekt.1,2

An beiden Untersuchungen – randomisiert-kontrolliert, doppelt verblindet, Phase 3 – hatten Patienten mit früher Alzheimerdemenz teilgenommen. Sie erhielten monatlich Aducanumab in einer niedrigen oder einer hohen Dosis bzw. ein Placebo. Als primärer Endpunkt war die Verlangsamung der kognitiven und funktionellen Beeinträchtigungen gewählt worden, gemessen anhand des Scores „Clinical Dementia Rating Sum of Boxes“, kurz CDR-SB.

Rechenakrobatik zum Kopfschütteln

Statistiker wiesen im Nachhinein darauf hin, dass in der „negativen“ Studie ENGAGE weniger Patienten die höhere Dosis Aducanumab erhalten hatten. Zudem war es bei einigen Teilnehmern der Hochdosisgruppe zu einem außergewöhnlich raschen Progress gekommen.3 Ohne diese Ausreißer würden die Ergebnisse von ENGAGE durchaus das positive Resultat der zweiten Zulassungsstudie EMERGE stützen, so das Fazit. Über eine solche Argumentation könne man nur den Kopf schütteln, meinte Professor Dr. Jörg­ B. Schulz­ von der Universitätsklinik in Aachen. Entsprechend vorsichtig äußerten sich die beratenden Experten der FDA in der Zulassungsanhörung. Um dem Antikörper grünes Licht zu geben, würden die Daten nicht ausreichen.4

Gebunden an das Gremium ist die FDA nicht. Sie hat ihrerseits ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für Aducanumab angekündigt – eine Entscheidung ist also innerhalb von sechs Monaten zu erwarten. Ob am Ende der politische Druck und der Einfluss der Patientenorganisationen, die in der Anhörung in teils emotional bewegenden Ansprachen den großen Bedarf an Therapien unterstützt hatten, stärker sein wird als die Expertenmeinung, mochte Prof. Schulz nicht vorherzusagen.

Ideal wäre, Antikörper vor der Amyloidphase einzusetzen

Aducanumab ist ein vollhumaner monoklonaler IgG1-Antikörper, der selektiv an lösliches und unlösliches Betaamyloid im Gehirn bindet. Dort soll er die Bildung des Proteins und damit die Entstehung von Plaques verhindern.

Gegenwärtig gehe man jedoch davon aus, dass die frühe Alzheimer­demenz bereits ein spätes Stadium in der Pathogenese der Krankheit ist, gab Prof. Jucker zu bedenken. Er selbst sieht zwar durchaus Potenzial für Aducanumab – allerdings in einem wesentlich früheren Stadium als aktuell geplant.

Dafür aber braucht es verlässliche Biomarker, wofür derzeit am ehesten Neurofilamente und Phospho-Tau infrage kommen. Diese wiederum tauchen erst auf, wenn die Amyloidphase bereits begonnen hat. Ideal wäre es laut Prof. Jucker, den Antikörper vorher einzusetzen.

Im Mausmodell ließ sich bei jungen Tieren ohne jegliche erkennbare Pathologie durch Aducanumab eine deutliche Reduktion von Amyloidablagerungen und Neuroinflammation im Verlauf von einem Jahr zeigen. Beim Menschen wäre ein so früher Einsatz aber sicher auch zukünftig fraglich.

Quellen:
1. Studienprotokoll zur Phase-3-Studie EMERGE
2. Studienprotokoll zur Phase-3-Studie ENGAGE
3. Aducanumab for the Treatment of Alzheimer’s Disease: Clinical Overview of Efficacy
4. FDA panel rejects Biogen's new Alzheimer's drug

Kongressbericht: 93. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Online-Veranstaltung)

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