Was Sie von der Cannabistherapie bei Ihren Patienten erwarten können

Autor: Maria Fett

Bei welchen Krankheiten bzw. Symptomen Cannabis hilfreich ist, muss weiterhin geprüft werden. Bei welchen Krankheiten bzw. Symptomen Cannabis hilfreich ist, muss weiterhin geprüft werden. © contentdealer – stock.adobe.com

Seit gut zwei Jahren dürfen Ärzte Cannabis als Medizin verschreiben und auf Kostenübernahme durch die Kassen hoffen. Ob die chronisch Schmerzgeplagten, Parkinson- und Epilepsiepatienten von der Therapie tatsächlich profitieren, steht auf einem anderen Blatt.

Mittlerweile hat sich die teils recht emotional geführte Debatte zum Einsatz von medizinischem Cannabis weitestgehend beruhigt, sagte Professor Dr. Christian­ Maihöfner­, Klinikum Fürth. Seit Ärzte ihre schwerkranken Patienten leichter mit Extrakten, Blüten und synthetischen Cannabinoiden behandeln können, stiegen erwartungsgemäß Nachfrage und Bedarf – allen voran in der Neurologie. Systematische Langzeiterfahrungen existieren jedoch noch immer nicht, monierte der Neurologe. Zudem steht die Evidenz für den Cannabis-Einsatz auf schwachen Füßen. „Im Einzelfall können wir aber deutlich zur Lebensqualität der Patienten beitragen“, erklärte der Kollege. Damit dies gelinge, müsse man sich allerdings die individuellen Patientenverläufe anschauen und die Nebenwirkungen mit den Betroffenen besprechen.

Besonders in seinem Feld, der Schmerztherapie, spielen Cannabinoide eine Rolle. In der „aktuell wichtigsten Metaanalyse“ fand man jedoch nur eine geringe bis moderate Wirksamkeit für Cannabispräparate.¹ Ausgewertet wurden Daten aus 104 Studien (davon 47 randomisiert und kontrolliert) mit knapp 10 000 Patienten, die an neuropathischen Schmerzen, Fibromyalgie und anderen chronischen nicht durch Krebs bedingten Schmerzen litten.

Die randomisierten kontrollierten Studien zeigten eine 30%ige Schmerzreduktion bei 29 % der mit Cannabinoiden behandelten Patienten und bei 25,9 % derjenigen unter Placebo. Der Unterschied war signifikant, wie Prof. Maihöfner erklärte. Allerdings lag die number needed to treat (NNTT) in dieser Metaanalyse mit 24 recht hoch, die number needed to harm (NNH) mit 6 vergleichsweise niedrig.

Durch Cannabis Opioide einsparen

Zwar ist die therapeutische Breite der Extrakte, Blüten und synthetischen Mittel nur gering. Der Neurologe zeigte sich aber zuversichtlich, dass sich mit den Präparaten Opio­ide einsparen lassen. In der Schmerzmedizin riet der Kollege, primär auf orales Tetrahydrocannabinol (THC) wie Dronabinol, Vollextrakt oder Nabiximols zurückzugreifen. Inhalative Präparate sollten seiner Meinung nach nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden.

In den USA hat man die Cannabistherapie für zwei Epilepsiesyndrome bereits zugelassen, Europa wird womöglich im nächsten Jahr nachziehen. Doch so lange müssen die betroffenen Patienten vielleicht gar nicht warten. „Cannabidiol-Öl gibt’s auch bei dm. Genau so, wie ich es verschreiben würde. Und das für unter 65€“, scherzte Professor Dr. Hajo Hamer. Laut dem Hersteller enthält eine Flasche 1000 mg Cannabidiol (CBD). Um wirksame Dosen von 1400 mg/d für eine 70 kg schwere Person zu erreichen, „ist man mit 1–2 Flaschen am Tag dabei“.

Dabei geht es um Patienten mit Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndrom. Wie der Neurologe vom Universitätsklinikum Erlangen berichtete, hat sich bei ihnen die Wirksamkeit von Cannabidiol hinsichtlich der Anfallsreduktion nicht nur in den verblindeteten Zulassungsstudien, sondern auch in einer offenen Anschlussstudie gezeigt.² Darin erhielten 264 Patienten mit einem der beiden Syndrome über im Median 9–12 Monate zusätzlich zu ihren Antiepileptika oral eine Cannabidiol-Lösung (100 mg/ml). Im Mittel wurden pro Kilogramm Körpergewicht täglich 21 mg verabreicht.

Auch in der offenen Extensionsphase ließ sich im Vergleich zu der Zeit vor Therapiebeginn mit Cannabidiol ein Rückgang der Anfälle um ca. 40–50 % beobachten. Rund 93 % der Teilnehmer berichteten von leichten bis moderaten Nebenwirkungen, zumeist Diarrhö, geringerem Appetit und Müdigkeit. Cannabidiol kann also auch über längere Zeiträume antikonvulsiv wirken, fasste Prof. Hamer die Ergebnisse zusammen. Bevor die EU-Zulassung durch sei, müssten Kollegen die Therapie mit Cannabidiol in öliger Essenz (z.B. 50–100 mg/ml) noch als indviduellen Heilversuch beim Kostenträger beantragen.

Da im „Cannabisgesetz“ keine Indikation festgesetzt wurde, stellt sich die Frage, ob Medizinalhanf auch für Parkinsonpatienten eine Option sein kann. Die Antwort lautet ja, wie Professor Dr. Heinz Reichmann von der TU Dresden darlegte.

Therapieversuch in vier Bereichen sinnvoll

Er berief sich dabei auf einen „sehr schönen“ Übersichtsartikel³, deren Autoren einen Therapieversuch in folgenden Bereichen für sinnvoll erachten oder möglich erscheinen lassen:

  • bei therapieresistenten spastischen bzw. dystoniebedingten Schmerzen
  • beim zentralen Parkinsonschmerz
  • bei schweren REM-Schlaf-assoziierten oder schmerzbedingten Schlafstörungen („Damit können wir vielleicht die Abhängigkeit von Benzos und Opioiden reduzieren.“)
  • bei Patienten mit schwerstem Tremor und starken Dyskinesien, vor allem wenn tiefe Hirnstimulation und/oder Medikamentenpumpentherapie mit Levodopa/Carbidopa oder Apomorphin kontraindiziert sind.

Die Praxistipps des Kollegen glichen weitestgehend denen von Prof. Maihöfner: vorzugsweise auf Nabiximols und Dronabinol zurückgreifen, Vorsicht bei komorbider Schizophrenie, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie chronischer Hepatitis und kein Hanf für Schwangere. Zudem sollten die Monatsdosen 100 g Cannabis nicht übersteigen.

Quellen:
¹ Stockings E et al. Pain 2018; 10: 1932-1954
² Devinsky O et al. Epilepsia 2018; 2: 294-302
³ Mainka T et al. Fortschr Neurol Psychiatr 2018; 2: 106-116