Aktuelle Datenlage Psychosen, Angst und Depression mit Cannabis behandeln?

Autor: Dr. Dorothea Ranft/Tobias Stolzenberg

Medizinisches Cannabis wird bereits zur Behandlung seelischer Störungen eingesetzt – doch noch ist die Datenlage dazu sehr spärlich. Medizinisches Cannabis wird bereits zur Behandlung seelischer Störungen eingesetzt – doch noch ist die Datenlage dazu sehr spärlich. © Feodora – stock.adobe.com

Regelmäßiges Kiffen erhöht das Risiko für Psychosen, affektive Störungen, Angsterkrankungen und andere seelische Leiden. Demgegenüber werden medizinische Cannabisprodukte zur Therapie ebendieser Störungen eingesetzt. Wie geht das zusammen?

Etwa 6 % der Erwachsenen hierzulande setzen Cannabis mindes­tens einmal im Jahr als Rauschmittel ein. Bei jedem Hundertsten im Alter zwischen 18 und 64 Jahren liegt eine Cannabiskonsumstörung mit schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit vor.

Die Organtoxizität des Gebrauchs ist dabei eher gering, schreiben Professor Dr. ­Ulrich ­Preuss von der ­Vitos ­Klinik ­Herborn und Privatdozentin Dr. ­Eva ­Hoch von der Ludwig-Maximilians-Universität ­München. Das Schadens­potenzial des Krauts liege vielmehr im psychischen Bereich: Das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen, Psychosen und Schizophrenie, für affektive Störungen und Angsterkrankungen steigt abhängig von Konsumbeginn, Dauer und Wirkstoffgehalt der Droge deutlich an, berichten die beiden Experten.

Andererseits kann medizinisches Cannabis seit einigen Jahren bei uns als Arzneimittel verschrieben werden – und das nicht nur bei somatischen Erkrankungen, sondern auch für die Therapie seelischer Störungen. Die Substanzen und Medikamente (s. Kasten) eröffnen ohne Frage neue Chancen, merken Prof. ­Preuss und Dr. ­Hoch an. Das erfordert aber die umfassende Beratung der Patienten und eine individuelle Einschätzung der Risiken. Zugleich ist die Datenlage zum Einsatz der Cannabispräparate bei psychischen Störungen derzeit noch sehr spärlich, machen die beiden Autoren in ihrer Übersichtsarbeit deutlich.

Medizinisches Cannabis in Deutschland

Derzeit steht in Deutschland eine Reihe medizinischer Cannabisprodukte und Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis zur Verfügung, die per Betäubungsmittelrezept verordnet werden können:
  • getrocknete Blüten, Extrakte und Vollspektrumextrakte als Rezepturarzneimittel in standardisierter Qualität – u.a. bei Schmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen
  • Nabiximols als Mundspray (enthält THC und CBD im Verhältnis 1:1) – u.a. gegen Spastik bei Multipler Sklerose
  • Nabilon (vollsynthetisches THC-Analogon) – u.a. bei chemotherapieinduziertem Erbrechen
  • Dronabinol (teilsynthetisches THC) – u.a. bei chemotherapieinduziertem Erbrechen
CBD unterliegt als Reinstoff nicht dem Betäubungsmittelgesetz. Als Rezeptursubstanz ist es verschreibungspflichtig.

Psychotische Störungen

Die meisten Arbeiten beschäftigten sich mit dem Einsatz von Cannabidiol bei psychotischen Erkrankungen und Schizophrenie. Eine Meta­analyse aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass die Substanz die Beschwerden insgesamt sowie die Positiv- und Negativ­symptome nur unzureichend zu lindern vermag, sowohl Placebo als auch aktiven Vergleichsubstanzen gegenüber. Auch Präparate, die sowohl Cannabidiol (CBD) als auch Tetrahydrocannabinol (THC) enthielten, brachten keine Besserung der psychotischen Symptomatik, verschlechterten aber die Kognition.

Abhängigkeitserkrankungen

Für die Behandlung substanzbezogener Störungen liegen derzeit sieben randomisierte Kontrollstudien vor. In zweien wurden die Effekte von Dronabinol und Nabiximols bei Opiat­abhängigkeit untersucht, in fünf Arbeiten deren Wirksamkeit auf Cannabiskonsumstörungen. Während sich mit beidem bei Cannabisabhängigkeit offenbar gute Resultate erzielen lassen, liegen für die Behandlung des Opiatmissbrauchs kaum aussagekräftige Daten vor, resümieren Prof. ­Preuss und Dr. ­Hoch.

Demenzerkrankungen

Auch bei Demenz werden Cannabinoide inzwischen erprobt. Die Resultate sind widersprüchlich: In einer Studie verringerten sich Verhaltens­auffälligkeit und negativer Affekt bei Alzheimer-Patienten; die beiden anderen Arbeiten, die zu diesem Thema bislang veröffent­licht wurden, konnten dies indes nicht bestätigen. Deren Daten zufolge verstärkte sich die krankhafte Unruhe sogar noch, was die Pflegenden erheblich belastete.

Angststörungen, soziale Phobie

Die Studienlage zum Einsatz medizinischer Cannabisprodukte bei Angsterkrankungen ist gleichfalls unbefriedigend. Für THC-CBD-haltige Medikamente fand die Meta­analyse auf Basis von sieben Arbeiten eine signifikante Linderung der Symptome bei sekundä­rer Angststörung im Vergleich zu Placebo – bei allerdings geringer Effektstärke. Zudem muss man aufgrund des untersuchten Patientenkollektivs von einem hohen Reporting ­Bias ausgehen. Während eine Einzelstudie für die Einmalgabe von CBD bei sozialer Phobie eine gute Wirksamkeit gegenüber Placebo fand, konnte die Metaanalyse dieses Ergebnis nach Auswertung einer weiteren Untersuchung derselben Arbeitsgruppe nicht bestätigen.

Traumafolgestörung (PTBS)

Einer einzelnen Studie mit zehn Teilnehmern zufolge ließ sich bei posttraumatischer Belastungsstörung die Zahl der Albträume mittels zusätzlichen Nabilons – zusätzlich zu Standardpsycho- und Pharmakotherapie gegeben – reduzieren, das allgemeine, klinische Wohlbefinden besserte sich. Studiendaten zur Wirksamkeit von CBD bei dieser Indikation liegen keine vor.

ADHS

Derzeit unklar ist die Wirkung der Cannabismedikamente bei Menschen mit ADHS. Die in einer Einzelstudie mit 30 Personen ermittelte Besserung von Hyperaktivität und Impulsivität durch Nabiximols war nach Korrektur auf mögliche Störfaktoren nicht mehr signifikant. Studien zur Therapie mit CBD bei diesem Störungsbild fehlen. 

Depressive Erkrankungen

Bei primärer Depression wurden Cannabispräparate bisher nicht untersucht, wohl aber bei Patienten, die ihre affektive Störung infolge chronischer Schmerzen oder einer Multiplen Sklerose entwickelten. Bei diesen Menschen zeigte sich kein therapeutischer Effekt von Dronabinol, Nabiximols oder anderen THC-CBD-haltigen Arzneimitteln.

Regeln fürs Autofahren

Auch der medizinische Gebrauch von Cannabinoiden kann die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Darauf sollte man die Patienten ausdrücklich hinweisen und das Gespräch entsprechend dokumentieren. Nach der Einstellungsphase ist Autofahren erlaubt, sofern Grundleiden und Nebenwirkungen dem nicht entgegenstehen. Für etwaige Verkehrskontrollen sollten die Patienten eine Kopie des BtM-Rezepts oder einen Therapieausweis mitführen.

Quelle: Preuss UW, Hoch E. DNP 2021; 22: 40-48