Ulcus cruris
Ulcus cruris („offenes Bein“) bezeichnet eine tiefe und meist schlecht heilende Wunde am Unterschenkel. Es handelt sich um eine typische Alterserkrankung – die meisten Patienten sind über 70 Jahre alt. In Deutschland leiden mindestens eine Million Menschen ein chronisches Ulcus cruris.
Je nach zugrundeliegender Ursache unterscheidet man:
Ulcus cruris venosum (häufigste Form, etwa 50 % der Patieten)
- schwerste Form der chronisch venösen Insuffizienz (CVI)
- etwa 1–2 % der Patienten mit CVI entwickeln im Laufe ihres Lebens ein Ulcus
- durch primären oder sekundären (postthrombotischen) Verlust der Klappenfunktion
Ulcus cruris arteriosum (etwa 15 %)
- durch arterielle Durchblutungsstörungen bei PAVK
Ulcus cruris mixtum (etwa 15 %)
- -Kombination arterieller und venöser Ursachen
Ulkus bei Diabetes mellitus (Malum perforans, diabetisches Fußsyndrom)
- Durchblutungsstörungen und häufig auch Polyneuropathie
- vor allem in druckbelasteten Arealen
Weitere seltene Ursachen eines Ulcus cruris können Pyoderma gangranosum, Vaskulitis, Livedovaskulopathie oder Kalziphylaxie sein, die zusammen etwa 20 % ausmachen.
Neben den Ursachen, die zur Entstehung chronischer Wunden führen, findet man viele Faktoren, die im Verlauf die Wundheilung beeinträchtigen. Dazu gehören unter anderem:
- lokale Faktoren (z.B. Krusten, Nekrosen, Fibrin, Ödemen bakterielle Superinfektionen)
- metabolische Störungen (z.B. schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Hyperbilirubinämie)
- Malnutrition
- Einnahme von Medikamenten (z.B. Sirolimus, Zytostatika)
Ulcus cruris venosum
- typische Entwicklung der CVI
- zuerst Venenerweiterungen (meist am medialen Knöchel), Ödem, bräunliche Pigmentierung, Stauungsekzeme
- Ulkus oft am medialen oder lateralen Knöchel oder an der Unterschenkelinnenseite
- geringe Schmerzen
Ulcus cruris arteriosum
- typischerweise Einschränkung der Gehstrecke (Claudicatio intermittens) und evtl. Ruheschmerz
- Ulkus oft am Fußrücken oder an der Außenseite der Unterschenkel, häufig „wie ausgestanzt“
- sehr schmerzhaft
Ulcus cruris bei Diabetes
- vor allem in druckbelasteten Arealen an den Füßen
- oft geringe Beschwerden (wegen diabetischer Neuropathie)
- im Randbereich oft hyperkeratotisch
Ulcus cruris venosum:
- intradermale Venenerweiterungen vor allem am medialen Knöchel
- Phlebödem (vor allem Knöchelregion)
- bräunliche Pigmentierung der Haut
- Induration durch Sklerose von Haut und Subcutis
Ulcus cruris arteriosum
- Extremität dünn, kühl und blass
- Abblassen des Vorfußes bei Hochlagerung
- evtl. trophische Störungen
- Pulsstatus und Auskultation
Bei Erstvorstellung (und insbesondere bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer Infektion) sollten folgende Parameter bestimmt werden:
- Blutbild, Differenzialblutbild
- C-reaktives Protein (CRP), BSG
- Blutfette
- HbA1c
- Harnstoff, Kreatinin
- Gerinnungsparameter
- Elektrolyte
Weiterführende Laboruntersuchungen (nur bei konkretem klinischem Verdacht oder zur Klärung unklarer Befunde):
- ANA, ENA, ANCA
- zirkulierende Immunkomplexe
- Kryoglobuline
- Homocystein
- APC-Resistenz
- Protein C, Protein S
- Paraproteinen
- Spurenelementen und Vitamine
Wichtig ist immer die Abklärung möglicher Ursachen. Dazu können gehören:
- Farbduplexsonographie (zum Ausschluss venöse Insuffizienz, PAVK)
- ggf. Phlebographie
- Knöchel-Arm-Index (Ausschluss PAVK, ABI < 0,9 gilt als beweisend)
- Dopplerfrequenzuntersuchung
- evtl. weitere bildgebende Verfahren zur Gefäßdarstellung (MR- oder CT-Angiographie, intraarterielle digitale Subtraktionsangiographie)
Weitere Untersuchungen:
- Wundabstrich zur bakteriologischen Untersuchung
- in unklaren Fällen (z.B. Verdacht auf Vaskulitis) Biopsie und histologsiche Untersuchung
Differenzialdiagnostisch sollte an seltene Ulkusursachen gedacht werden, wie:
- Pyoderma gangranosum
- Vaskulitis
- Livedovaskulopathie
- Kalziphylaxie
Bei wachsenden und therapieresistenten Ulcera sollte zudem immer ein ulzeriertes Plattenepithelkarzinom ausgeschlossen werden.
Zuerst sollten immer die Möglichkeiten einer kausalen Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung geprüft werden. Dazu können gehören:
Chronisch venöse Insuffizienz:
- Ausschaltung der venösen Refluxwege (Sklerosierung, endoluminale oder chirurgische Maßnahmen)
- Kompressionstherapie
- Bewegungstherapie
PAVK:
- Behandlung arteriosklerotischer Risikofaktoren (Hypertonie, Rauchen, Dyslipidämie etc)
- Gehtraining zur Verbesserung der Kollateralen
- ggf. endovaskuläre oder chirurgische Revaskularisierung
Diabetes:
- Optimierung der Blutzuckereinstellung
Wundbehandlung:
Wundreinigung und chirurgisches Debridement (zur Abtragung von avitalem Gewebe, Nekrosen, Belegen, Fremdkörpern)
- enzymatische Wundreinigung (z.B. Varidase-Gel)
- Biochirurgie (Madenauflage)
- mechanische Reinigung (mit Kompresse, Kürette, scharfem Löffel)
Dekontamination
- lokale Antiseptika (auch ohne Erregernachweis)
- lokale Antibiotika nur bei nachgewiesenen Infektionen mit Erregernachweis (Gefahr der Resistenzentwicklung)
Wundauflagen
- Wahl geeigneter Wundauflagen entsprechend der Wundverhältnisse (z.B. stark sezernierend oder trocken)
Umgebungsschutz
- Vermeidung von Hautschädigungen durch Mazeration, Haft- und Klebebasen, häufige Manipulationen, Allergene und toxisch-irritative Substanzen oder Austrocknung
- z.B. mit Zinkpaste
Wichtig ist immer auch eine suffiziente Schmerztherapie (entsprechend WHO-Stufenschema)
Operative Maßnahmen (bei therapieresistenten Ulcera)
- z.B. Shave-Therapie mit Spalthauttransplantation
- ggf. Fasziektomie
- ggf. Deckung mit Muskellappen
Zur Prävention zählen alle Maßnehmen zur Verhinderung und Behandlung der chronisch-venösen Insuffizienz (z.B. Thromboseprophylxe, Kompressionsstrümpfe), der PAVK (z.B. Rauchverzicht) und eine gute Diabeteseinstellung.
Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung:
S3-Leitlinie „Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronische venöse Insuffizienz“
Deutsche Gesellschaft für Angiologie , Gesellschaft für Gefäßmedizin:
S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit
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